Lage der Medien Über theologisch-kirchliche Inkompetenz von C-Politikern
Noti stösst sich an der politischen Inkompetenz von Kirchenleuten. Mindestens so stossend sei die theologisch-kirchliche Inkompetenz von C-Politikern. Nachfolgend seine am 16. Januar gehaltene Rede:
Geschätzte Anwesende
Am Dreikönigsapéro der säkularen Zeitungsverleger, das vergangene Woche in Zürich über die Bühne ging, sprach CVP-Präsident Gerhard Pfister über Gegenwart und Zukunft der Medien. Er bewies mit seiner Rede politisch-intellektuelle Statur, darüber hinaus war er geistreich und unterhaltsam. Nicht nur, weil er zur Selbstrelativierung der Politik fähig war, indem er selbstironisch befand, Politiker hätten auch eine Meinung zu haben, zu allem, aber sie müssten nicht immer Kenntnis haben – oder zu wenig oder zu antiquierte.
Bedenkenswert sind vor allem seine Auslassungen zur Lage der Medien. Die digitale Revolution habe das traditionelle Geschäftsmodell der Branche vernichtet:
Wenn das, was geschieht, sich digital in Echtzeit weltweit verbreitet, also das, was ist, verfügbar ist – und auch gezeigt wird, ohne dass ein Journalist es zeigt, was kann der Journalist dann noch tun? Was ist sein Mehrwert? Pfisters Antwort: Sein Mehrwert liegt in der Bewertung, in der Einordnung, im Beurteilen und in der sprachlichen oder medialen Gestaltung.
Das heisst: Die Journalistin beschreibt nicht das, was ist. Vielmehr beschreibt die Journalistin, wie sie das, was ist, sieht, was sie dazu meint, und sie beschreibt sich selbst als Schreibende. Das Risiko dieses Journalismus liegt darin, dass er zwar nicht nichts mit der Realität zu tun hat, aber entscheidend zu wenig. Pfister spricht vom «Selfie-Journalismus». Statt Selbststilisierung wären jedoch Selbstbescheidung und Relativierung gefragt.
Wir tun gut daran, so erinnert uns Pfister, die Digitalisierung nicht zu verteufeln: Die Digitalisierung hat medial zu einer noch nie dagewesenen Demokratisierung geführt. So wie die Gutenbergsche Revolution durch den Bücherdruck das Wissen demokratisierte und das Deutungsmonopol der Kirchen zerstörte, so verlieren die Journalistinnen und Journalisten die Informationshoheit.
Kirchliche Medienzentren wie die unseren müssen einen doppelten Bedeutungsverlust verarbeiten – den Bedeutungsverlust der Kirchen und den Bedeutungsverlust des Journalismus.
Kommt erschwerend hinzu, dass der Verlust des Deutungsmonopols der Kirchen nicht nur säkular-gesellschaftlich zu verorten ist. Er macht auch vor den Toren der Kirchen nicht Halt, und deshalb gibt es ebenfalls kirchenintern kein Deutungsmonopol mehr. Im Grunde hat es dieses nie gegeben.
Immerhin fordert uns Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben «Evangelii Gaudium» ganz unpäpstlich dazu auf, wir sollten uns endlich von der Illusion verabschieden, dass in der katholischen Kirche immer und überall das gleiche gedacht, gesagt, befohlen und getan werden müsse.
Zum Widerspruch fordert Gerhard Pfister jedoch nicht mit seiner medienpolitischen Rede heraus, sondern mit der Gründung des Thinktank «Kirche/Politik» wenige Tage zuvor. Das heisst: Eigentlich ist es nicht die Gründung des Thinktank an und für sich, die irritiert, sondern die Begründung zu dessen Aufbau. Dem Thinktank gegenüber sollte man nicht mit allzu viel Aufgeregtheit und Gereiztheit begegnen. Wir müssen die Qualität dieser Einrichtung ganz einfach an den Ergebnissen messen und dann beurteilen, ob sie etwas taugt oder ob sie überflüssig ist.
Mit dem Evangelisten Matthäus gesprochen: «Wir werden sie an ihren Früchten erkennen.»
Im «Tages-Anzeiger» ist nachzulesen, dass sich die Initianten des Thinktank «Kirche/Politik» an den Stellungnahmen und Abstimmungsparolen von Kirchenleuten gestossen hätten. Es ist von eigentlichen «Gesinnungsdiktaten von der Kanzel» die Rede. Michael Meier bekundet in seinem Kommentar Verständnis: Es sei nachvollziehbar, dass sich manche Politiker über Pfarrer ärgern, «die sonntags von der Kanzel herab pfannenfertige Politparolen verkünden – mit Berufung auf eine höhere Macht oder das Evangelium … So plädierte der Zürcher Generalvikar Josef Annen gegen Versicherungsdetektive, weil sie den sozialen Zusammenhalt belasten. Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist verteilte am Zürcher Hauptbahnhof Flyer gegen die Durchsetzungsinitiative. Wegen ihres Ja zur No Billag-Initiative sprach ein Kirchenmann SVP-Nationalrätin Natalie Rickli das Katholischsein ab.» Die Zürcher Synodalratspräsidentin erklärte gar, als Christin könne sie nicht SVP wählen. Und Bischof Felix Gmür warb für den Ausstieg aus der Kernenergie. Das Fazit der Thinktank-Gründer: Statt sich in Abstimmungskämpfe einzumischen, sollten sich die Kirchen gescheiter auf ihr ethisches Kerngeschäft beschränken.
Offen gestanden: Ich reibe mir ungläubig die Augen ob der gelieferten Beispiele. «Tages-Anzeiger» und Politiker nennen keinen einzigen Fall, in dem ein Diktat von der sonntäglichen Kanzel herab erfolgt wäre. Die inkriminierten Akteure geben Interviews (zu denen sie übrigens angefragt werden), sie schreiben Leserbriefe oder Kommentare, sie stellen sich Passanten an Bahnhöfen oder sie nehmen an öffentlichen Podien teil. Kompetent und weniger kompetent, nirgendwo widerspruchslos, allesamt Teil einer politischen Debattenkultur, die sich nicht auf abstimmungspolitische Kämpfe reduzieren lässt.
Den Thinktank-Pionieren fehlt es offensichtlich an Augenmass. Mit Verlaub: Die öffentliche Intervention von Gerhard Pfister und seiner liberalen Streitgenossin Béatrice Acklin erinnert mich an den Kampf gegen die Windmühlen. Don Quichote und Sancho Pansa haben ihn einst geführt. Sie wollten doch Grosses vollbringen und stiessen statt dessen überall auf Belustigung …
Die Thinktank-Pioniere haben Recht, wenn sie für die Präsenz in politischen Debatten Kompetenz und Glaubwürdigkeit einfordern. Das gilt aber nicht nur für die Kirchenleute, sondern auch für die Politiker. Politische Inkompetenz ist stossend. Mindestens so stossend ist allerdings theologisch-kirchliche Inkompetenz. Diese ist durchaus auch bei Kirchenleuten zu finden. Bei Politikerinnen und Politikern, die in ihrem Parteinamen ein «C» tragen, tritt diese theologisch-kirchliche Inkompetenz oft und spürbar zutage.
Gerade die CVP beweist ihre historische wie theologische Inkompetenz immer wieder in ihrem Umgang mit Islam, Kopftuch, Burka und Minaretten. Ihre Protagonistinnen und Protagonisten glänzen zu häufig durch beredtes Schweigen, wenn es um Fragen der Religion geht.
So wollte das katholische Medienzentrum wissen, was die Bundesratskandidatinnen vom Dezember 2018 zu wichtigen religionspolitischen Themen meinten. Die liberale Karin Keller-Sutter antwortete mit einem differenzierten wie klaren Statement. Viola Amherd und Heidi Zgraggen kniffen – wegen Mangel an Zeit. Vielleicht auch weil sie keine Kenntnis hatten – oder zu wenig oder zu antiquierte …
Vor diesem Hintergrund hoffe ich, dass der Thinktank nicht nur die politische Kompetenz der Kirchenleute zu verbessern vermag. Notwendig wäre auch ein Beitrag zur Erhöhung der theologisch-kirchlichen Kompetenz von Politikerinnen und Politikern.
Wir sollten in dieser Debatte allerdings nicht mit Steinen werfen. Weil wir im Glashaus sitzen. Fehlende theologisch-kirchliche Bildung, so sehr wir sie beklagen mögen, hat auch mit der Wirkungslosigkeit und mit dem Versagen, mit mangelnder Kompetenz und fehlender Glaubwürdigkeit kirchlicher Institutionen zu tun. Die kirchlichen Medienzentren sind ein Teil davon.
Und wir sollten uns mit fundamentalen Letzturteilen zurückhalten. Solche Urteile sind dem Jüngsten Gericht vorbehalten, nicht irrenden, menschlichen Wesen, seien sie nun kirchlich oder politisch motiviert. Das wenigstens ist der praktische Sinn der traditionellen Gerichtsrede. – Nach diesem Hinweis, der Sie entlasten und zugleich zum öffentlichen Vernunftgebrauch anspornen soll, wünsche ich Ihnen ein gutes neues Jahr.
Odilo Noti hat während dreier Jahrzehnte in seiner Funktion als Mitglied der Geschäftsleitung, stellvertretender Direktor und Bereichsleiter Kommunikation für Caritas Schweiz gewirkt. Ende letzten Jahres ist er in Pension gegangen. Theologe Noti präsidiert den Vorstand des Katholischen Medienzentrums seit 2015.
Danke, Odilo, für diesen Text. Gruss. Heinz
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