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Aktuelle Ausgabe forum Pfarrblatt Tierwürde und Tiernutzung – wie geht das?

Zur Abstimmung über die «Initiative gegen Massentierhaltung in der Schweiz» gibt der Sozialethiker Thomas Wallimann-Sasaki einige Entscheidungshilfen.
06. September 2022 Katholische Kirche im Kanton Zürich

 

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Bereits heute gelten in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern strenge Vorschriften in Bezug auf die Nutztierhaltung. Noch vor 40 Jahren wurden z.B. Eier unter «maschinenähnlichen» Lebensbedingungen für Hühner produziert. Heute leben 85% der Legehennen im Freiland. Doch die Bedingungen für Masthühner sind schlechter geworden: nur 8% leben im Freiland. Viele werden innert kürzester Zeit zur Fleischgewinnung hochgezüchtet.

Auch bei den Schweinen kann von einer Verbesserung im Vergleich zu früher gesprochen werden, doch auch hier gibt es Luft nach oben. Dabei zeigt sich schnell, dass die begrenzten Raumverhältnisse in der Schweizer Landwirtschaft viele Entwicklungsmöglichkeiten beeinträchtigen, bzw. dazu führen, dass die Tierbestände kleiner werden (müssen), was aus ökonomischer Sicht meistens die Rentabilität negativ beeinflusst.

Umstritten ist die Forderung der Initiative, dass die strengen Regeln auch für Importe gelten müssen. Da die Initiative in diesem Punkt sehr allgemein gehalten ist, lassen sich Pro- wie Kontra-Argumente nicht endgültig klären. Vielmehr verbinden sich diese mit den jeweiligen Interessen. Grundsätzlich darf in der auf Pragmatismus bauenden Realpolitik Schweizerischer Prägung davon ausgegangen werden, dass sich jeweils Umsetzungsformen finden lassen, die von breiten Kreisen mitgetragen werden.

 

Wirtschaft contra Sorge zur Natur?

Wie schon mit der Initiative für ein Verbot von Tierversuchen geht es um das Verhältnis von Mensch und Tier und im weiteren Sinne um das Verhältnis von Mensch und Umwelt. Dieses wurde auch in der Pestizidinitiative thematisiert und wird mit der Gletscherinitiative erneut diskutiert werden. Diese Häufung zeigt, dass immer mehr Menschen die bisherige wenig hinterfragte Dominanz des Menschen über die nicht-menschliche Natur vom Tier bis zum Gletscher nicht mehr akzeptieren. Die Auseinandersetzungen zu diesen Fragen machen aber auch deutlich, dass nicht nur unser Wohlstand, sondern auch unser ökonomisches Denken direkt von den Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis von Menschen und Natur betroffen ist. Anders gesagt: wir können nicht wie bisher weiterwirtschaften und gleichzeitig das Tierwohl und die Sorge zur Natur als zentrales Kriterium für eine zukunftsfähige Gesellschaft betrachten. Das zeigen die Pro- und Kontra-Argumentarien: Während die Befürworterinnen vorrangig mit ethischen Schlüsselbegriffen wie Tierwohl, Würde der Tiere oder der Kreatur argumentieren, geht es bei den Gegnerinnen um Fragen der praktischen Umsetzung, der Kosten, des Marktes und die Konsumfreiheit. 


Welches ist meine Grundhaltung?

Rechtlich schützt Artikel 120 der Bundesverfassung die Würde der Kreatur. Doch ethisch gibt es keinen Konsens für den Umgang mit Tieren. Vielmehr ist die Tier-Mensch-Beziehung eine Frage von Grundhaltungen. Welches ist Ihre?

1. Tiere haben keinen moralischen Status, sind eine Spezialform von «Sachen» und können entsprechend genutzt werden. Das Interesse des Menschen rechtfertigt praktisch jede Tierhaltung.

2. Güterabwägung: Tiere haben Empfindungen und können leiden. Bewusste Zufügung von Schmerzen sind darum nicht zulässig. Das Wohl der Menschen muss gegenüber dem Wohl der Tiere abgewogen werden. Während traditionell Würde nur dem Menschen zugesprochen wird und diese als Grundlage für Menschenrechte dient, wird inzwischen auch der Schöpfung und damit den Tieren Würde zugeschrieben. Damit lassen sich aber nicht gleichzeitig gleiche Rechte einfordern – auch weil Tiere im Gegensatz zum Menschen keine Pflichten eingehen können.

3. Gleichheit. Rechte wie auch Interessen menschlicher und nichtmenschlicher Lebewesen müssen in gleicher Art berücksichtigt werden. Je stärker die Gleichheit betont wird, desto höher die Ansprüche an die Tierhaltung. Im Extremfall wäre jegliche Nutztierhaltung verboten.


Bibel, Menschen und Tiere

«Mach dir die Erde untertan», so steht es in der biblischen Schöpfungsgeschichte. Doch der Hauptunterschied liegt hier nicht zwischen Menschen und Tieren, sondern zwischen Schöpfer und Geschöpfen. Daraus folgt, dass Tiere und Menschen als Geschöpfe miteinander verbunden sind. Auch der Mensch als Ebenbild Gottes bedeutet nicht so sehr Herrschaft, sondern verlangt von ihm, dank seinen Gaben verantwortungsvoll mit Natur und Tieren als Mitgeschöpfen umzugehen. 


Gerechte Bedingungen

Die Sozialprinzipien christlicher Ethik und der katholischen Soziallehre verlangen im Kern Sorge zur Schöpfung. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen wie auch Gesetze müssen dem Wohl des Menschen dienen – und entsprechend auch dem Wohl der Tiere. Wie weit wir Menschen dieses Wohl des Tieres kennen, ist nicht ganz einfach zu bestimmen. So lässt sich fragen, ob eine Freilandhaltung von Hennen dem Tierwohl immer dienlich ist, wenn infolge knapper Platzverhältnisse die Hackordnung dazu führt, dass sich die Hennen gegenseitig schaden.


Mach(t)barkeit

Weil die Argumente der Gegenseite in erster Linie die Praktikabilität und damit die ökonomischen (Macht-)Verhältnisse ansprechen, lässt etwa das Subsidiaritätsprinzip fragen, inwiefern für das Tierwohl nicht nur Landwirtinnen, sondern eben auch grosse Handelsunternehmen oder Detailhandelsfirmen in die Verantwortung gerufen werden. Haben diese doch einen nicht geringen Einfluss auf Preisbildung wie auch Kundinnenverhalten. Denn Freiheit – auch Konsumfreiheit – misst sich am Wohl aller, auch der Tiere, und nicht lediglich am individuellen Interesse.


Entscheidung

Je stärker die Gleichheit in Würde und Wesen bei Mensch und Tier betont wird, und je mehr da-rauf gebaut wird, wirtschaftlich auch anders als bisher ein für alle gutes Wohlstandsniveau zu halten, desto eher wird man der Initiative zustimmen. Wer die Folgen der Initiative als wirtschaftlich zu einschneidend und für die Landwirtschaft wie Konsumentinnen zu belastend empfindet oder dem Menschen trotz vielen Gleichheiten  und Ähnlichkeiten mit Tieren eine andere Rolle und dementsprechend Verantwortung zuweist, wird die Initiative eher ablehnen.

Text: Thomas Wallimann-Sasaki