Kirche und Glaubwürdigkeit Synodalität gegen Machtmissbrauch
Der synodale Weg ist derzeit ein heiss und kontrovers diskutiertes Thema. Die Frage stellt sich, wie in einem Gesprächsformat eine strukturierte Debatte innerhalb der hierarchisch ausgerichteten römisch-katholischen Kirche und echter Dialog mit der Basis der Gläubigen zustandekommen kann. Vor bald 50 Jahren setze in der Schweiz die Synode 72 Meilensteine. Heute ringt die Kirche in Deutschland damit, Fragen aufzuarbeiten, die sich im Herbst 2018 nach der Veröffentlichung der MHG-Studie über sexuellen Missbrauch in der Kirche ergeben haben.
Im Rahmen einer Tagung des Vereins www.tagsatzung.ch unter dem Titel «Synodales Vorgehen»: Willkür oder Rechtsverbindlichkeit? hält Adrian Loretan in Luzern ein Referat. Ein paar grundlegende Gedanken stellt er hier als Blog zur Verfügung:
Der Machtmissbrauch in der katholischen Kirche und der entsprechende Glaubwürdigkeitsverlust kann nicht mit hierarchischen Mitteln überwunden werden. Die Glaubwürdigkeit der Kirche wieder herzustellen, wird ein längerer Prozess sein.
Selbst die Katholikinnen und Katholiken misstrauen den eigenen Institutionen, um nicht zu sagen ihren eigenen Hirten. Das ist eine schlechte Voraussetzung für die Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation. Deshalb haben verantwortungsvolle Bischöfe begonnen, das rechtsverbindliche Gespräch mit ihren Gläubigen zu suchen.
Dabei wird auch die Machtkonzentration auf zölibatäre Männer (c. 277; 274 § 1 CIC/1983) thematisiert, die den sexuellen Missbrauch der Priester vertuschten, um das Priesterbild zu schützen.[1] Selbst Papst Franziskus kritisiert, dass «die sakramentale Vollmacht zu sehr mit der Macht [in der Kirche] verwechselt wird» (Evangelii gaudium Nr. 104).
Er fährt fort: «Alles, was man unternimmt, um die Kultur des Missbrauchs aus unseren Gemeinschaften auszumerzen, ohne alle Glieder der Kirche aktiv daran teilhaben zu lassen, wird nicht dazu in der Lage sein, die nötigen Dynamiken für eine gesunde und wirksame Umgestaltung zu erzeugen.»[2] Die Missbrauchskrise ist ein „Macht[…]missbrauch durch Priester“[3].
Synode 72 als lebendige synodale Praxis
Die lateinische Westkirche kannte bis in die Neuzeit eine teilweise lebendige synodale Praxis, die die Bischofsvikare Alois Sustar (Chur), Ivo Fürer (St. Gallen) und Otto Wüst (Basel) aufgegriffen haben für ihr Projekt Synode 72. Deren Beschlüsse hatten unterschiedlichen Rechtscharakter: Einerseits gab es Beschlüsse der Diözesansynoden, die durch die Approbation des jeweiligen Bischofs rechtskräftig wurden. Andererseits wurden Texte gesamtschweizerisch verabschiedet. Für diese benötigte es formalrechtlich keine Approbationsinstanz. Deshalb wurden die gesamtschweizerisch verabschiedeten Texte von jedem Bischof einzeln in Kraft gesetzt oder sie hatten den Charakter von Empfehlungen zuhanden der Bischofskonferenz.
Verbindliche Regeln für die Partizipation oder Demokratie
Der Abt «soll den Rat der Brüder anhören» (Benedikt-Regel Kapitel 3 Vers 2). Dieses synodale Zuhören der Vorsteher hat bei den Benediktinern zu Kapitelsälen geführt und bei den Zisterziensern zu einem neuen Begriff, der Weltgeschichte geschrieben hat: parliamentum[4].
«Was alle angeht, muss von allen behandelt und approbiert werden.» Yves Kardinal Congar OP.[5]
Die Geschichte des Westens als Rechtsgemeinschaft beginnt also mit der Rechtsentwicklung der lateinischen Westkirche, wie der evangelische Berliner Historiker Heinrich August Winkler belegt.[6]
Über Möglichkeiten und Grenzen der Demokratie in der Kirche dachte auch Joseph Kardinal Ratzinger nach.[7] Demokratische Elemente können «in das Leben der Kirche aufgenommen werden, die eine analoge Nähe zwischen Demokratie und Kirche nahelegen (vgl. auch LG 1, 10, 12, 32)»[8], so Karl Kardinal Lehmann.
Papst Franziskus ortet «Anormales Verständnis von Autorität in der Kirche»
Wie soll der Klerikalismus, diese «Kultur des Todes» (Franziskus) überwunden werden? In seinem Schreiben an das Volk Gottes (2018) verlangt der Papst von den Gläubigen, ihre Passivität zu überwinden: Diese zeigt sich «in einer anomalen Verständnisweise von Autorität in der Kirche»[9]. Zudem haben die weltweiten «Skandale der letzten Jahre gezeigt, dass dieses System [der rein klerikalen Macht, c. 274] bis in die Spitzen der Hierarchie hinein von Korruption befallen»[10] ist.
Selbst die Päpstliche Kinderschutzkommission fordert deshalb die Schaffung eines priesterunabhängigen kirchlichen Gerichts, vor dem auch Bischöfe angeklagt werden können, die sich der Vertuschung sexueller Gewalt schuldig gemacht haben[11]
Wer heute Bischof wird, muss das rechtsverbindliche Reden (Parliamentum) mit den Gläubigen seiner Diözese einüben, um den Machtmissbrauch des Klerus, den Klerikalismus, strukturell zu überwinden.
Hinweis: Tagung und Referat
Der Verein www.tagsatzung.ch fördert Bewusstseinsbildung, die Kommunikation und den Erfahrungsaustausch, sowohl regional wie auf schweizerischer Ebene. Er bietet Plattformen zur Diskussion von spirituellen, theologischen, gesellschaftlichen und organisatorischen Fragen in Kirche und Gesellschaft. Christlichen Glauben und christliche Praxis bringt er in die Gesellschaft ein und bezieht kirchenpolitisch Stellung.
Am 28. August findet mit Referent Adrian Loretan in Luzern eine Tagung statt unter dem Titel «Synodales Vorgehen»: Willkür oder Rechtsverbindlichkeit? Weitere Informationen und Anmeldung (bis 21. August) finden sich hier.
Quellen:
[1] Vgl. Adrian Loretan, Sexuelle Gewalt von Amtsträgern gegen Kinder. Ein menschenrechtliches Plädoyer, in: Julia Enxing/Dominik Gautier (Hrsg.) unter Mitarbeit von Dorothea Wojtczak, Satisfactio. Über (Un-)Möglichkeiten von Wiedergutmachung, Leipzig (Evangelische Verlagsanstalt) und Paderborn (Bonifatius) 2019, 13–57. Zugang zum Artikel hier: https://zenodo.org/record/3338346#.XS7B83syWUl.
[2] Schreiben von Papst Franziskus an das Volk Gottes vom August 2018, http://w2.vatican.va/content/francesco/de/letters/2018/documents/papa-francesco_20180820_lettera-popolo-didio.html.
[3] Ebd.
[4] Vgl. José Jiménez Lozano, Kastilien. Eine spirituelle Reise durch das Herz Spaniens, Freiburg Schweiz 2005, 81–91, 82: „In der Praxis des britischen Parlamentes findet sich einiges von den zisterziensischen Verfahrensweisen, so etwa das „pedibus ire in sententiam“, bei dem man abstimmt, indem man den Sitzungssaal verlässt“.
[5] Vgl. Yves Congar, Quod omnes tangit, ab omnibus tractari et approbari debet, in: Revue historique de droit français et étranger (4e série) 35, 1958, 210–259.
[6] Vgl. Heinrich August Winkler, Die Geschichte des Westens, München 2016, Bd. I–IV.
[7] Kardinal Ratzinger veröffentlicht diese Überlegungen 30 Jahre später nochmals in mehreren Auflagen. Joseph Ratzinger und Hans Maier, Demokratie in der Kirche. Möglichkeiten und Grenzen, Limburg 2000. Nach der Erstausgabe 1970 erschienen 1971 „eine spanische sowie italienische und 1973 eine französische Ausgabe, eine englische und portugiesische folgten.“ Gerhard Hartmann, Habeant Fata sua libelli – Ein Nachwort des Verlages, in: a.a.O. 100–104, 101.
[8] Karl Kardinal Lehmann, Die Theologie des Bischofsamtes nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und ihre Bedeutung für synodale Prozesse, in: Joachim Schmiedl und Robert Walz (Hrsg.), Die Kirchenbilder der Synoden. Zur Umsetzung konziliarer Ekklesiologie in teilkirchlichen Strukturen, Freiburg i.Br. 2015, 11–34, 33.
[9] Schreiben von Papst Franziskus an das Volk Gottes vom August 2018, http://www.vatican.va/content/francesco/de/letters/2018/documents/papa-francesco_20180820_lettera-popolo-didio.html.
[10] Stefan Kiechle SJ, Synodaler Weg – aber geistlich, in: Stimmen der Zeit (5/2019) 321–322.
[11] „Investigative procedures should be robust and transparent. Experience suggests that these should include suitably experienced and skilled lay people to ensure independence.“ Pontifical Commission for the Protection of Minors, Guidelines Template, Version 2016.12, Nr. 9, http://www.protectionofminors.va/content/tuteladeiminori/en/resources_section/pcpm-guidelines-template_page.html.
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