Missbrauch und Vertuschung in der Kirche «Wir brauchen eine Kultur der Selbstbestimmung»
Zwar sei vieles von dem, was unterdessen in der Kirche im Kampf gegen Missbrauch getan würde, sehr gut, bilanziert Doris Reisinger (Autorenname Doris Wagner) vor den bischöflichen Fachgremien «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld». Doch ihr Fazit bleibt sehr durchzogen: «Vertuschung und Mitwisserschaft sind als Probleme in ihrer ganzen Tragweite noch gar nicht richtig im Blick».
Wir haben zentrale Thesen ihres umfangreichen Vortrags zusammengestellt und dokumentieren auch den gesamten Text im Original.
Übersehene Opfergruppen
«Vertuschung und Mitwisserschaft sind als Probleme in ihrer ganzen Tragweite noch gar nicht richtig im Blick (bis heute ist weder in Deutschland noch in der Schweiz ein Bischof wegen Vertuschung und Mitwisserschaft zurückgetreten) und ganze Opfergruppen, beispielsweise Behinderte oder auch Priester, die als Seminaristen missbraucht worden sind oder überhaupt Menschen, die als Erwachsene missbraucht worden sind – Männer und Frauen –, haben kaum Aussicht darauf, als Opfer von der Kirche anerkannt zu werden.»
Opfer spielen fürs Kirchenrecht keine Rolle
«Das Kirchenrecht kennt keine sexuelle Selbstbestimmung und kann folglich auch keine Verletzung von sexueller Selbstbestimmung kennen. Es kennt keine Selbstbestimmungsrechte. Die Konsequenz ist: Der Täter hat sich eigentlich gegen die kirchliche Autorität vergangen, indem er ihr Gebot gebrochen hat. Das Opfer seiner Tat kommt – kirchenrechtlich – allenfalls als Verhandlungsmaterie in den Blick, nicht aber als Geschädigter.»
Neben sexuellem gibt es auch spirituellen Missbrauch
«Im sexuellen Missbrauch wird niemals nur die körperliche Integrität des Opfers verletzt, sondern auch die emotionale und spirituelle. Dabei wiegt Letzteres meist besonders schwer. (…) Spiritueller Missbrauch ist die Verletzung spiritueller Selbstbestimmung. Und spirituelle Selbstbestimmung bedeutet: Jeder Mensch hat das Recht, selbst über sein geistliches Leben zu bestimmen.»
Spiritueller Missbrauch zerstört das Fundament
«(Beim) spirituellen Missbrauch (geht es) um das Fundament unseres Lebens selbst, um den tragenden Sinnzusammenhang unserer Existenz. Und wenn der angegriffen oder manipuliert wird und sich ins Negative verkehrt oder brüchig wird, hat das nicht selten tragische Folgen für das ganze Leben eines Menschen.»
Selbstbestimmtes geistliches Leben
«Wir brauchen in der Kirche eine Kultur der Selbstbestimmung. Ohne das wird sich Missbrauch nicht vermeiden lassen. Menschen müssen dazu befähigt werden, ihr eigenes geistliches Leben selbstbestimmt zu führen. Wir brauchen gute, an den realen Bedürfnissen der Menschen ausgerichtete Seelsorge. Wir brauchen ganz generell eine Kultur, in der niemand sich anmasst, im Namen Gottes zu sprechen und darum andere Menschen zu etwas zwingen zu müssen, was die nicht wollen oder was sie verletzt.»
Schritte zu einer Autonomiekultur
«Bis heute bietet unsere Kirche ein durchmischtes Bild. Wir haben noch so viel, was nach Machtmissbrauch riecht: Eine Atmosphäre der Angst und der Tabus, Fragen, die man nicht stellen und Namen, die man nicht nennen darf und Menschen, die Macht haben, aber für ihr Handeln scheinbar nicht verantwortlich gemacht werden können. (…)
Auf der anderen Seite haben wir gesehen, wohin diese vergiftete Kultur führt und wir haben viele gute Seelsorgerinnen und Seelsorger, die das verstanden haben. Wir haben synodale Strukturen und Prozesse und immer mehr Menschen, die keine Angst haben, die Fragen zu stellen, die auf dem Tisch liegen, und entschiedene Schritte in Richtung einer Autonomiekultur zu gehen.»
Wir danken der Autorin für das Zur Verfügungstellen des Redemanuskripts
Hier können Sie den ganzen Vortrag lesen (PDF)
Reisinger-Spiritualisierte Gewalt.pdf — 162.4 KB
Kompliment zum Mut und zu dieser klaren, offenen Sprache.
Es ist nicht höchste Zeit, es ist längst überfällig, dass -auch- Bischöfe, die "vertuscht" haben, den Mut aufbringen hinzustehen und korrekterweise -auch- zurückzutreten.
D.h., dass sie endlich Verantwortung übernehmen und nicht nur davon reden wie die Politiker, die nicht einmal wissen, was Verantwortung ist. Es sei denn zu Lasten der Steuerzahler!
Aber, die Kirchen sind keinen Deut besser, wenn nicht sogar noch viel schlimmer!
Weiterhin wünsche ich Ihnen -als Mit-Opfer- viel Mut, viel Kraft und auch weiterhin Gott-Vertrauen, denn Hoffnung gegen jede Hoffnungslosigkeit nicht aufgeben, braucht viel Kraft.
Ihr Aldo Cariget
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