Aktuelle Ausgabe forum Pfarrblatt Respektvoll mit Tieren leben
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«Das war doch anders gemeint!»
Wie würden Menschen und Tiere idealerweise zusammenleben?
Christoph Ammann: Mit Respekt vor der jeweiligen Eigenart des Gegenübers. Natürlich ist es viel verlangt, das von Tieren zu erwarten. Es ist aber nicht zu viel verlangt von Menschen, mehr Sensibilität für die Eigenart, das Wesen und damit auch für die Würde von Tieren aufzubringen.
Ein Beispiel?
Als meine Kinder ein Haustier haben wollten, habe ich zuerst eine befreundete Tierärztin um Rat gefragt: Wenn wir nur auf das Wohl des Tieres schauen, was ist möglich? Sie erzählte mir von Rennmäusen, die in einem grossen Käfig mit genug Einstreu gut leben können. Und die auch nicht einfach die klassischen «Kuscheltiere» sind. Unsere Kinder haben Rennmäuse bekommen, ihr Wunsch nach Haustieren war erfüllt – sie mussten aber auch auf etwas verzichten. Sie hätten die Rennmäuse anfänglich gerne aus dem Käfig genommen und eine engere Beziehung zu ihnen aufgebaut. Wir als Eltern haben bewusst gesagt: Nein, ihr könnt die Tiere beobachten, ihr könnt euch an ihnen erfreuen – aber sie sind nicht einfach für uns Menschen da, sie gehören uns nicht. Ich habe jetzt mit Absicht ein Beispiel mit Heimtieren gebracht. Häufig sagt man ja, die seien verwöhnt, denen gehe es ja gut.
Kann man, wenn man das Tierwohl radikal ernst nimmt, überhaupt Heimtiere halten?
Ich glaube, ja. Natürlich ist es ein Unterschied, ob ich einem Tier aus einem Tierheim ein neues Zuhause gebe oder ob ich unbedingt ein hochgezüchtetes Rassentier kaufen muss. Meine Vision ist, dass Menschen und Tiere in einem verantwortungsvollen, respektvollen Umgang miteinander leben, und nicht, dass wir möglichst getrennt von Tieren leben.
Wie kommt es, dass Sie Tierethiker geworden sind?
Ich bin wahrscheinlich bereits ein recht sensibles Kind gewesen, zumindest erinnere ich mich, dass mich das Schicksal von Tieren schon früh sehr bewegt hat. Einmal habe ich eine Reportage über einen Störmetzger gesehen, der zu den Höfen fährt und dort die Tiere schlachtet. Im Nachhinein muss ich sagen, dass das im Grunde eine recht humane Art der Tötung ist, weil zum Beispiel der lange Transport zu den Schlachthäusern wegfällt. Mich als Kind hat es dennoch stark umgetrieben. Ich konnte nicht mehr schlafen und habe dann tatsächlich gesagt, dass ich kein Fleisch mehr essen will. Ich muss etwa zehn Jahre alt gewesen sein. Es war da also immer diese Sensibilität für Tiere – und dann habe ich ganz selbstverständlich empfunden, dass das auch etwas damit zu tun hat, dass ich Christ bin.
Wie hängt das mit dem Christsein zusammen?
Die biblische Erzählung vom barmherzigen Samariter war immer zentral für mich. Die Liebe, die von uns verlangt ist, meint für mich auch die Tiere. Da gibt es keine Grenze. Natürlich nehme ich einen Unterschied zwischen Mensch und Tier wahr, das heisst aber nicht, dass uns Tiere egal sein können oder dass sich die christliche Ethik nur auf den Menschen beschränken könnte. Als ich mich dann an der Uni in der theologischen Ethik spezialisierte, war klar, dass ich ein Forschungsthema wähle, das mir wichtig ist. Ich habe es intuitiv seltsam gefunden, dass sich Theologie und Kirche so wenig um Tiere kümmern.
Haben Sie eine Idee, warum das so ist?
Darüber habe ich viel nachgedacht. So schwer es mir fällt, das zu sagen: Ich glaube, es stimmt, dass das Christentum eine Wirkung entfaltet hat, die den Menschen extrem wichtig nimmt und Tiere weniger oder gar nicht. Der Preis für die Aufwertung des Menschen ist eine Abwertung vom restlichen Leben. Doch eigentlich war es ursprünglich von den biblischen Quellen her anders gemeint! Aufs Ganze gesehen hat das Christentum dann aber leider nicht viel zu einer Sensibilisierung für die Anliegen der Schöpfung und der Tiere beigetragen.
Und heute?
Ich finde, unsere Aufgabe als Kirche – also als Christinnen und Christen – wäre es tatsächlich, Gemeinschaften zu bilden, in denen wir gewaltfreier miteinander und mit Tieren und der Schöpfung zusammenleben. Wir könnten zeigen, dass eine andere Art von Zusammenleben möglich ist. Aber wir scheuen das. Weil es zu nahe an uns herankommt, weil es heissen würde, dass ich mein Leben verändern müsste – und weil es auch Verzicht bedeuten würde.
Macht uns der Verzicht auf Fleisch zu besseren Menschen?
Ja. Umgekehrt würde ich aber niemals sagen, dass jemand, der Fleisch isst, in jedem Fall ein schlechterer Mensch ist. Ich kenne Menschen, die sehr sensibel beim Tierschutz sind und sonst einen Luxus-Lebensstil pflegen – das kann es ja auch nicht sein. Letztlich finde ich aber, wir dürfen uns nichts vormachen. In der Welt, in der wir leben, angesichts der Massentierhaltung, ist das Essen von Fleisch moralisch problematisch. Tiere leiden und werden getötet für einen letztlich unnötigen Zweck. Es mag sein, dass es sogenannte «Nutztiere» gibt, die tatsächlich ein gutes, artgerechtes Leben haben – aber selbst in diesem Fall, der ganz sicher nicht die Regel ist, bleibt es Fakt, dass das Tier letztlich für uns getötet wird.
Die Gretchenfrage: Wie haben Sie’s mit dem Veganismus?
Ich lebe nicht ganz vegan, weil ich nicht zu 100 Prozent auf Milchprodukte verzichte. Ich bin aber viel sensibler geworden. Zum Beispiel kaufe ich keine Lederschuhe mehr. Früher dachte ich, Leder sei ja ein Abfallprodukt, mittlerweile finde ich, das stimmt natürlich nicht, so einfach ist es nicht. Ich würde sagen: Ja, ich wäre ein besserer Mensch, würde ich ganz vegan leben. Gleichzeitig finde ich aber auch: Wir dürfen diese Fragen nicht nur als Individuelle sehen.
Wie meinen Sie das?
Wir müssen überlegen: Was bürden wir dem einzelnen Menschen auf? Und was ist eine gesellschaftliche Aufgabe? Klar ist für mich, dass es eine starke Reduktion des Fleischkonsums und generell der Nutzung von Tieren braucht. Es braucht ein ganz anderes Verhältnis zum Tier. Dazu braucht es politische Lösungen – die individuelle Reinheit ist dafür die falsche Kategorie. In den nächsten Jahren müssen ganz dringend die Weichen gestellt werden für eine klimafreundlichere Lebensweise, und da gehört selbstverständlich auch die Fleischindustrie und Massentierhaltung dazu.
Kriege, Kinderarbeit, Menschenhandel – angesichts des menschlichen Leids könnte die Frage nach der Würde von Tieren als Luxusfrage erscheinen. Was antworten Sie darauf?
Viele Fragen, die etwas mit Gerechtigkeit zu tun haben, lassen sich als Luxusfragen abtun. Letztlich geht es um die Frage nach Gerechtigkeit, und da würde ich keine Priorität setzen, als könnten wir zuerst die Menschen und dann die Tiere befreien. Ich glaube vielmehr, dass die Tierfrage zentral ist für unsere Art von Leben und unserem Respekt vor dem Leben anderer. Das System der Massentierhaltung aufzubrechen, wäre zum Beispiel ein riesiger Hebel für unser Überleben angesichts des Klimawandels. Was wir alles tun, um schlussendlich ein Tier auf dem Teller zu haben – wie unglaublich viele Ressourcen wir dafür verbrauchen! Wir zerstören damit auch unsere eigene Lebensgrundlage.
Können denn christliche Quellen gar nichts zum Wandel beitragen?
Das ist ein wichtiger Punkt. Meine Motivation kommt daraus, dass ich im Christentum, in der Bibel und in der ganzen Geschichte Stränge finde, an die wir positiv anknüpfen können. Traditionen, die ein anderes, ein neues Verständnis von der Schöpfung und auch von unserem Platz in der Schöpfung vorlegen. Die Tiere gehören da selbstverständlich dazu. Nehmen Sie als Beispiel den Propheten Jesaja im 11. Kapitel: Da gibt es eine wunderschöne Vision vom Frieden zwischen den Tieren untereinander und zwischen Menschen und Tieren. Frieden herrscht dann, wenn alle Geschöpfe und die gesamte Schöpfung mitgemeint sind.
Text: Veronika Jehle
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