Neue forum-Ausgabe Mensch bleibt Mensch
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Katja Rost: Seit ich in den Zug gestiegen bin. Etwa vier Stunden. Hauptsächlich war ich in meinem Mailaccount und auf Google.
Im Rahmen eines schweizweiten Forschungsprojekts, an dem Ihr Lehrstuhl ebenfalls beteiligt war, wurden drei Fragen gestellt, die ich Ihnen zum Einstieg in unser Gespräch stellen möchte. Erste Frage: «Welche Gefahren und Probleme bringt der digitale Fortschritt für mich persönlich mit?»
Meine Aufmerksamkeit lässt extrem nach, vor allem die Aufmerksamkeit für das Kleine. Stattdessen nimmt die Aufmerksamkeitsökonomie zu, also dieses Haschen nach kleinsten Informationen oder Hypes, die dann aber auch gleich wieder zu Ende sind. Das widerspricht, wie ich finde, meinem Wesen, und wahrscheinlich fällt es mir deswegen so negativ auf. Die Digitalisierung bringt eine starke Oberflächlichkeit in die Gespräche, in Kontakte und auch in die Forschung. Die Tiefe geht verloren.
Zweite Frage: «Was ist der ideale Weg, um die digitalen Dienste in mein Leben zu integrieren?»
(Lacht schallend.) Wenn ich das wüsste! – Ich bin überzeugt, das kann ich und das können wir noch gar nicht seriös beantworten.
Dritte Frage: «Wie nutze ich die Vorteile der Digitalisierung, ohne unter den negativen Auswirkungen leiden zu müssen?»
Auch das ist ein wenig Kaffeesatzlesen, zumindest für meine Generation. Vielleicht können Junge diese Frage besser beantworten. Wahrscheinlich müsste ich mir mehr Auszeiten gönnen. Aber wenn der Internetanschluss da ist, dann nutze ich ihn halt auch. Auf dem Spielplatz stehe ich allerdings nicht mit dem Handy rum. Dennoch, wenn mein Mann unseren Sohn fragt: «Was ist eine typische Handbewegung von Mama?», dann macht der Fünfjährige diese charakteristische Wischbewegung.
Obwohl sie sich als Forscherin intensiv mit der Digitalisierung beschäftigen, scheinen Sie genauso unsicher zu sein, wie wir alle.
Ja, das ist so. Aber ich halte das bei neuen Technologien für normal. Wir dürfen nicht vergessen, dass es wirklich ein radikaler Wandel ist, den wir hier miterleben. Das hat allerdings auch etwas Schönes, denn einen solchen epochalen Umbruch erlebt nicht jeder Mensch mit.
In Zeiten von Google Analytics basteln sich alle ihre eigenen Statistiken zusammen, wird jeder zum Self-made-Soziologen. Braucht es Ihr Fach überhaupt noch?
Sicher, die Soziologie hatte schon goldenere Zeiten. Fast alle werten heute Daten aus: Informatiker, Naturwissenschaftler, Wirtschaftswissenschaftler, mittlerweile tun’s auch Geisteswissenschaftler. Daraus ist ein Sozialwissenschaftsbrei geworden, an dem alle mitköcheln. Gerade deswegen braucht es jedoch die Soziologie, denn die gängigen Big Data enthalten sehr wenige Informationen, die wirklich nützlich sind. Meist enthalten sie sehr oberflächliche, triviale Zahlen. Big Data, das ist eine Masse an Korrelationen, die aber keine Kausalzusammenhänge bieten.
Bedeutet?
Mit der Erhebung von Daten hat man noch keine Erklärungen für gesellschaftliche Zusammenhänge gefunden. Bei Algorithmen kommt zwar immer etwas raus, aber inwiefern es uns dann hilft, die Nadel im Heu zu finden, da habe ich meine Zweifel. Dafür braucht es eine systematische, analytische Herangehensweise und auch Kenntnisse zur Funktionsweise von Gesellschaften. Und genau das sollte die Soziologie leisten. Wir sind die Disziplin mit dem breitesten Überblick. Wir möchten Zusammenhänge so erkennen, wie sie sind, und nicht so, wie wir sie gerne hätten.
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