Neue forum-Ausgabe Caritas-Woche zum Thema Armut und Krankheit
Wir treffen uns auf der Wiese hinter dem Zürcher Landesmuseum. Der Park ist gepflegt, die Sonne scheint durch die laublosen Bäume, ein Jogger zieht seine Runden, Marroni-Duft liegt in der Luft. Doch Sibylle, die feingliederige 49-jährige Frau, spürt mitten in der Idylle noch das Elend der einstigen Drogenszene auf dem Platzspitz, sie riecht den Gestank der Verwahrlosung, hört die verzweifelten Schreie. «Es war schrecklich», sagt sie leise.
Dann beginnt sie zu erzählen von traumatischen Erlebnissen in ihrer Kindheit. Nach einer Lehre als Apothekerhelferin zieht sie mit dem ersten Lohn von zu Hause aus – doch sie ist nicht bereit für das Leben. Mit 19 beginnt sie Drogen zu konsumieren, spritzt sich auf dem Platzspitz Heroin. «Das war ein unglaubliches Gefühl. So muss sich Liebe anfühlen, habe ich mir gedacht. Es hat die Leere gefüllt und den Schmerz gestillt.» Die Drogen vertreiben die Angst vor dem Leben, geben Mut und Selbstvertrauen. Bald kennt sie sich aus auf der Gasse – versteht die Regeln, die Sprache, gehört dazu und fühlt sich verbunden. Irgendwann konsumiert sie täglich, als das Geld knapp wird, beginnt sie zu dealen.
Nach dem Selbstmord ihres Vaters und der Schliessung des Platzspitzes wird alles noch schlimmer. Sibylle richtet sich als «Filterli-Fixer» im Letten ein, lebt jahrelang auf der Strasse. «Hier war das Elend unsäglich. Das Leben bestand aus Gewalt, Dreck und Verzweiflung.» Sibylle wird mehrmals aufgegriffen und in einen Zwangsentzug gebracht
Kommentare anzeigen