Kirche aktuell

Klimaschutz – Klimagerechtigkeit über die Fastenzeit hinaus

Synodalrat, Soziales und Ökologie
Daniel Otth

Zuständig für das Thema "Nachhaltigkeit in der Kirche", für die Caritas Zürich, die Lehrlingsseelsorge "kabel", die Dargebotene Hand, die Fachstelle für Arbeitslosigkeit und die Paarberatung

Daniel Otth
Am 18. Juni stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung über das Klimaschutz-Gesetz ab. Synodalrat Daniel Otth ist überzeugt, dass wir damit den Rahmen für eine klimagerechte Zukunft schaffen können.
06. April 2023

Auch wenn ich mich auf den Frühling freue, die Winterdürre in Italien oder Frankreich lässt mich besorgt auf den kommenden Sommer blicken. Der am 20. März veröffentlichte globale Synthesebericht des Weltklimarates in Genf zeigt klar, dass die Risiken für Extremereignisse grösser als bisher gedacht sind. Wir steuern auf eine Erwärmung zwischen 2,2 bis 3,5 Grad bis ins Jahr 2100 zu. Der Bericht zeigt auch: Kinder, die heute geboren werden, werden deutlich häufiger Wetterextreme erleben als die Generation ihrer Eltern und Grosseltern. Mit schnellem und entschlossenem Handeln können die Folgen stark gemildert werden: Jedes Zehntelgrad senkt das Risiko negativer Klimafolgen markant. Wir befinden uns an einem wegweisenden Punkt. Für die Schweiz wird 2023 mit der Abstimmung zum Kilmaschutz-Gesetz zum vielleicht entscheidenden Klima-Jahr.

Passender dazu könnte die Frage von Fastenaktion und HEKS in der diesjährigen Fastenzeit nicht sein: «Für welche Welt wollen wir verantwortlich sein?» Eine wirklich entscheidende und grundsätzliche Frage. Wir alle werden sie wohl etwas anders beantworten. Eine gerechte Welt ohne Armut, klar. Ohne Krieg und Gewalt, weder in der Ukraine noch sonst wo. Ein Leben in Fülle für alle Menschen.

Moment! Wie passt ein Leben in Fülle in die Fastenzeit? Geht es nicht gerade in der Fastenzeit darum, eine Zeit lang auf Liebgewonnenes zu verzichten?

Wir fasten Schokolade, verzichten auf neue Kleider oder üben uns sonst in Genügsamkeit. Wir sind überzeugt, dass uns dieser Verzicht in Körper und Geist stärkt. Nicht jeder Verzicht kommt jedoch aus freien Stücken. Ob jemand die Heimat und das bisherige Leben wegen eines Krieges hinter sich lässt, die eigenen vier Wände wegen eines Erdbebens verliert oder tagtäglich um genügend Lebensmittel kämpfen muss, ändert die Vorzeichen des Verzichts. Wann uns ein Verzicht glücklich macht und stärkt oder wann er uns bedrohlich wird, ist nicht überall gleich und hängt von unserer jeweiligen Situation ab. Und er ist ganz entscheidend davon abhängig, wo wir leben. Nicht alle Menschen starten auf dem gleichen Niveau. Die Ausgangslage auf einer Insel im Pazifik, in den lateinamerikanischen Anden oder an der kargen Grenze zur Sahara sind anders als bei uns in Westeuropa.

Kommt dazu: Die Ressourcen, die wir in der Schweiz verbrauchen, können nicht allen Menschen zustehen. Wir würden mehrere Planeten dafür brauchen. Entsprechend sind wir von einer gerechten Verteilung des Lebens in Fülle leider weit entfernt. Unser Ressourcenverbrauch und ökologischer Fussabdruck sind unweigerlich mit Fragen der sozialen und globalen Gerechtigkeit verbunden. Papst Franziskus fordert uns dazu in seiner Enzyklika Laudato Sì auf, «die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde.» (49). Unsere Welt ist auf ein ökologisches Gleichgewicht angewiesen, das für Menschen in allen Weltregionen und auch für künftige Generationen ein Leben in Fülle ermöglicht. Darin bestärkt uns der Glaube. Wer die Welt als Schöpfung sieht, handelt anders und kann einen Perspektivenwechsel vornehmen: Es geht nicht um die Umwelt, sondern die Mitwelt von allem Lebendigem.

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Moteratschgletscher
Morteratschgletscher im Engadin: Das Verschwinden der Gletscher in der Schweiz zeigt deutlich, welche Auswirkungen der Klimawandel hat. Am Samstag, 25. Mai, findet am Fusse des Morteratsch eine Gletschergedenkfeier (www.gletschergedenkfeier.ch) statt. Foto: Unsplash/Matthias Speicher

Die globale Klimakrise bedroht die Chance auf ein Leben in Fülle. Sie entzieht unzähligen Menschen ihr Zuhause und ihre Lebensgrundlage – sehr häufig ohne, dass diese Menschen einen essentiellen Beitrag zu den steigenden Treibhausgasemissionen geleistet haben. Fasten und Verzicht haben für uns eine andere Bedeutung als für Menschen des Globalen Südens. Papst Franziskus spricht sogar von der «ökologischen Schuld» (51) zwischen dem Norden und dem Süden. Für das Leben in Fülle für alle braucht es jetzt unser Engagement. Eines, das uns bestärkt, ermutigt und weiterbringt.

Die Unterstützung des Klimaschutz-Gesetzes ist ein solches Engagement. Als Rahmengesetz definiert es vorrangig Ziele und Zwischenziele für die Reduktion der Treibhausgase, die sich aus dem Pariser Klimaabkommen ergeben. Ausserdem sollen Innovation, die der Umsetzung der Netto-Null-Fahrpläne dienen, sowie der Heizungsersatz auf erneuerbare Systeme und Massnahmen zur Energieeffizienz unterstützt und gefördert werden. Damit bringen wir die Schweiz einen wichtigen Schritt weiter in Richtung Klimaneutralität, Energiesicherheit und Unabhängigkeit von fossilen Energien. Für die Umsetzung dieser Klimaziele wird wichtig sein, dass wir trotz aller gebotenen Dringlichkeit zur Eindämmung des Klimawandels die Biodiversität nicht weiter gefährden. Die Umstellung auf erneuerbare Energien bedingt darum einen achtsamen Umgang mit den Lebensräumen von tausenden Tier- und Pflanzenarten. Nur so können wir der Bewahrung der Schöpfung nachhaltig Rechnung tragen.

Wir können mitgestalten, in welcher Welt wir morgen leben und welche Welt wir kommenden Generationen hinterlassen. Vielleicht ist die Fastenzeit und die anfangs gestellte Frage gerade jetzt für uns umso wichtiger. Ich lade Sie ein: Für welche Welt möchten wir verantwortlich sein?