Debatte um Kirchenaustritt «Zeit, dass sich was dreht!»
Andreas Tobler, Kulturredaktor des Tages-Anzeigers, erklärte Anfang Januar öffentlich seinen Austritt aus der Kirche. Sozial seien Kirchen zwar gut, sie würden aber vom Staat genug unterstützt. Austritte würden den Kirchen also nicht schaden. Kirchenratspräsident Michel Müller und Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding reagieren mit einem offenen Brief. Und Driessen-Reding erklärt im Interview, was an Toblers Argumentation falsch ist und warum wir sie als Kirche trotzdem ernst nehmen müssen.
Was hat Sie am Tagi-Artikel am meisten geärgert?
Die völlig verzerrte Darstellung der Finanzierung des kirchlichen Engagements. Das ist unverantwortlich, wenn der Autor schon vorgibt, das soziale Wirken der Kirchen sei wichtig. Persönliche Beweggründe für einen Austritt respektiere ich.
Kritiker könnten einwenden, es ginge den Kirchen nur um die Verteidigung ihrer Pfründe…
Es geht nicht um uns, sondern um Verteidigung unseres Engagements für die Gesellschaft, vor allem für die Schwachen und Bedürftigen.
Ist Toblers Beitrag nicht ein typischer Ausdruck der Entfremdung vieler Menschen von ihrer Kirche? Sie haben jede Beziehung dazu verloren und die Kirchen taugen allenfalls noch als Sozialwerk.
Der Traditionsabbruch macht uns tatsächlich schwer zu schaffen, vor allem bei der jungen Generation. Wir erleben einen allgemeinen gesellschaftlichen Trend zur Individualisierung. Religion wird immer mehr zur reinen Privatsache, die somit auch austauschbar ist. Die Abwendung von Institutionen betrifft nicht nur Kirchen, sondern auch andere gesellschaftliche Institutionen wie Parteien, Vereine, oder Gewerkschaften. Als Kirche müssen wir nicht nur den Verstand ansprechen und zeigen, dass wir gute Arbeit leisten. Wir müssen auch die Herzen der Menschen erreichen. Das schaffen wir aber kaum, wenn wir in den Augen so vieler Menschen von vorneherein unglaubwürdig sind.
Was können Kirchen dagegen tun?
Ich habe kein Patentrezept. Aber definitiv keine Option ist bloss beten und abwarten. Wir müssen handeln: Glaubwürdige Strukturen, gleichberechtigte Beteiligung der Frauen auf allen Ebenen, Schluss mit Diskriminierung von Minderheiten, Überwindung des Klerikalismus in der Kirchenleitung, das sind zentrale Problemfelder. Wir sind alle gefordert. Es gilt, neue Formen von Gemeindeleben zu suchen, Altes zu hinterfragen, mutig Neues zu wagen. Dabei aber nicht zu vergessen, was der Kern des Christseins ausmacht: Gott und den Menschen zu dienen.
Was macht die Katholische Kirche im Kanton Zürich?
Wir hören zu, entscheiden nicht über die Köpfe hinweg, sondern nutzen unsere demokratischen Strukturen. Deshalb biete ich zum Beispiel regelmässig eine Sprechstunde an. Meine Kolleginnen und Kollegen und mich trifft man an vielen Orten an. Unsere Türen in der Verwaltung sind offen. Und wir sind bei weitem nicht mit allem, was in Rom oder in Chur passiert, einverstanden. Doch wir treten nicht aus. Wir bleiben dabei. Und geben nicht nach, bis sich endlich etwas Grundlegendes ändert. Frei nach Herbert Grönemeyer: «Zeit, dass sich was dreht!»
Lesen Sie hier den Offenen Brief von Synodalratspräsidentin und Kirchenratspräsidenten
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