Interview-Serie Kirche leben in Corona-Zeiten - mit Schwester Ariane
Was war für Sie das einschneidenste Ereignis seit dem Lockdown?
Gleich zu Beginn, eine Woche vor dem allgemeinen Lockdown, war ich wie gelähmt. Wie mit bleiernen Gewichten an dem Füssen war ich kaum in der Lage meine Arbeit zu tun. Als er dann eintrat, fühlte ich mich vor die Entscheidung gestellt, bei den Freunden auf der Gasse zu bleiben oder mich zurückzuziehen. Und genau das konnte ich nicht: Meine Freunde alleine lassen. Ich entschied mich, bei ihnen zu bleiben und mit ihnen durch die Krise hindurchzugehen. Das positivste Ereignis dazu war, zu erleben, dass sich andere genauso entschieden und so arbeiten wir jetzt zusammen. Und das ist wunderbar.
Wie gehen Sie persönlich mit der neuen Situation um?
Ich versuche jeweils am Morgen aus der persönlichen Stille und dem schlichten Dasein vor Gott heraus zu hören, was jeweils dran ist. Ich brauche meine Ruhe in den frühen Morgenstunden, um mich zu orientieren.
Am Tag geht es darum, auf Menschen zu hören, die Not zu sehen und konkret zu handeln. Oft kommt etwas Neues und spontan muss etwas getan werden. Von Tag zu Tag ist die Situation neu und ich versuche flexibel zu bleiben. Am Abend bespreche ich noch per Telefon das Notwendige und dann falle ich einfach todmüde ins Bett.
Ihr schönstes Erlebnis in der Corona-Zeit?
Es sind viele. Sehr viele:
- Es ist für mich wie ein Wunder, was an Miteinander in den letzten Wochen entstanden ist.
- Es ist für mich aus dem Evangelium leben, miteinander das Evangelium leben und mit denen auf der Gasse wie eine Art Gemeinschaft bilden, die von Tag zu Tag wächst und tiefer wird.
- Oder das Vertrauen zu erfahren, das ein Mann zu uns gewonnen hat, der im Millieu arbeitet und das Nähen der Masken mitorganisiert. Manchmal ruft er mich noch nach dem Einsatz an, bedankt sich bei uns allen und erzählt mir von seinem Tag.
Hat Corona die Kirche verändert?
In den letzten Wochen ist auch da in der Stadtkirche und im Kanton ein Zusammenwirken gewachsen, das mich extrem freut. Sicher ist es mal erst ein «Pflänzli» und wir müssen sehen, was später draus wird, aber jetzt erst mal ist es super gut. Wir besprechen die Not von Menschen, wir überlegen, was getan werden kann. Von allen Seiten kommen Ideen. Aus der Arbeit mit dem Synodalrat, mit dem Generalvikariat, mit dem Stadtdekanat entsteht Unterstützung und wir können für die Menschen am Rand wirklich etwas bewegen.
Was soll nach dem Ausnahmezustand für das kirchliche Leben bewahrt werden?
Die Not sehen, den Mut haben zusammen etwas, was notwendig ist, in dieser Stadt zu tun – aus einem gegenseitigen Wohlwollen und herzlichen Miteinander. Es wäre mega schön, wenn wir davon etwas bewahren könnten.
Das ist eine Idee und ein Wunsch von mir – und nicht nur eine Idee: die Armen als Mitte unserer Kirche nehmen und daraus dann Impulse für unsere Arbeit als SeelsorgerInnen entstehen lassen. In den letzten Wochen ist aus den konkreten Fragen an uns ja ganz viel Neues erwachsen.
Was haben Sie persönlich aus der Corona-Crise gelernt?
Alles entsteht aus Beziehung – zu IHM und zueinander. Ich muss transparent sein: direkt sein, sagen, was ist und was nicht ist. Nicht reden, sondern mehr leben. So was lerne ich gerade noch tiefer.
Hat der Lockdown neben all der bedrückenden Seiten auch etwas Gutes?
Ja, viel Gutes: Ich finde, dass alles irgendwie langsamer um mich herum geworden ist. Die Langsamkeit des Lebens, das Wesentlich-werden. Unwichtiges fällt weg. Es wird tatsächlich unwichtig. Die Zeit hat auch etwas Läuterndes. Die Wunden der einzelnen Menschen werden spürbar und sichtbar. Es hat mich noch mal tiefer zum nächsten Menschen gebracht. Und viele haben sich bewegen lassen, sind mitgegangen und gehen mit.
Kommentare anzeigen