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«Ehe für alle» (5) - die Debatte Ja, ich will – soll für alle möglich sein

Präsidentin queerAltern
Barbara Bosshard
Barbara Bosshard
Die 70-jährige Barbara Bosshard setzt sich für ein Ja zur «Ehe für alle» ein, damit auch gleichgeschlechtlich Liebende über ein Familienleben nachdenken können, das so normal ist, wie es für zwei gegengeschlechtlich Liebende normal ist.
01. September 2021

Ich habe Jahrgang 1951, bin nun also 70jährig. Ich habe eine 24jährige Beziehung gelebt, die solange dauerte, bis dass der Tod uns nach fast einem viertel Jahrhundert schied. Es war der Krebs, der damals, vor 13 Jahren, unsere Beziehung scheiden liess, kein Beziehungskonflikt. Damals, als uns die Diagnose die Endlichkeit unseres Zusammenlebens so jäh vor Augen führte, dachte ich, was ich davor noch nie gedacht hatte: Hätten wir ein Kind, würde ein Teil von ihr noch weiterleben.

Doch wir hatten kein Kind, obwohl wir unser Leben gemeinsam führten und uns gegenseitig unterstützten, motivierten und ihre Krankheit auch zu meiner wurde.

Wir hatten es uns damals, in den 80er Jahren, auch nie überlegt, ob wir zwei, weil wir uns liebten, eine Familie gründen möchten. Denn hätten wir damals eine Familie gegründet, hätten wir, bis dass der Tod uns schied, ein Leben gelebt, das ohne rechtliche Absicherung gewesen wäre.

Denn ich bin ebenfalls eine Frau und kein Mann – dies ist / war der einzige Unterschied, der uns gegenüber der Mehrheit der Gesellschaft anders machte – selbst wenn wir uns liebten, bis der Tod uns schied.

Weshalb ich diese Geschichte, meine Geschichte, so ausführlich beschreibe, werden Sie sich möglicherweise fragen.

Ich schreibe von mir, weil ich möchte, dass die Generation im Alter meiner Kinder, die ich problemlos hätte haben können, wenn ich nicht lesbisch wäre … und die Generation im Alter meiner Enkel, die ich ebenfalls hätte haben können, wenn … Ich möchte einfach nicht, dass auch sie dasselbe erleben müssen, wie es meine Generation erleben musste.

Als ich so alt war, wie Frauen, die Männer liebten und mit diesen zusammen Kinder auf die Welt brachten, musste ich mir gar nicht erst überlegen, ob ich eine Familie gründen möchte, weil das Gesetz dies für homosexuell Lebende gar nicht vorsah. Ja, sogar schikanierte. Wir mussten gegenseitige Verträge unterzeichnen, damit wir beispielsweise bei einem Spitalaufenthalt der Lebenspartnerin Zugang an ihr Bett erhielten. Oder dass Ärztinnen und Ärzte mich, die Partnerin der Kranken, als Partnerin akzeptierten, damit ich bei Entscheiden konsultiert wurde und nicht ihre Eltern, mit denen uns nicht viel verband.

Zugegeben, so schlimm ist es nicht mehr. Seit 2007 gibt es in der Schweiz die eingetragene Partnerschaft, die viel Rechtliches regelt. Doch nach wie vor sind wir nicht gleichgestellt.

Die dringlichsten Fragen, die für eine gleichgeschlechtliche Beziehung von Relevanz sind, sind für uns erst abgesichert, wenn die Ehe für alle am kommenden 26. September angenommen wird. Wenn auch wir eine Ehe mit allen Rechten und Pflichten eingehen können.

Dann, wenn es uns durch die gewonnene Abstimmung möglich gemacht wird, über ein Familienleben nachzudenken, das so normal ist, wie es für zwei gegengeschlechtlich Liebende normal ist. Erst dann wissen wir, dass die juristische Sicherheit es uns möglich macht, ein Leben zu leben, das unsere Kinder ab ihrer Geburt nicht rechtlos zurücklässt, weil ein Elternteil stirbt oder die Eltern sich trennen, wie dies in nicht gleichgeschlechtlichen Ehen häufig vorkommt.

Für mich und meine jetzige, wiederum langjährige Partnerin ist die Kinderfrage keine Frage mehr. Dazu sind wir inzwischen beide zu alt.

Doch für alle gleichgeschlechtlich Liebenden, die unsere Kinder sein könnten und Grosskinder wünschten wir uns, dass sie wie Kinder von gegengeschlechtlichen Paaren ab dem ersten Atemzug rechtlich abgesichert sind. Weil nur die Liebe zählt und nicht das Geschlecht.

Oder dass ein Paar einem Kind durch Adoption eine neue familiäre Heimat geben kann, ohne Schranken, bzw. mit denselben, klärenden Vorgängen, wie bei gegengeschlechtlichen Paaren. Auch von der Samenspende sollen lesbische Eltern nicht mehr länger ausgeschlossen werden.

Denn letztlich zählt für das Wohl des Kindes und für seine individuelle Entwicklung allein die Liebe. Noch nie waren Zuwendung und Fürsorge eine Frage des elterlichen Geschlechts.

Ich bitte Sie mit Ihrem JA, ein Zeichen zu setzen: JA, zur Ehe für alle und damit ein Zeichen für die Liebe.

Denn Liebe wirkt stärkend. Sie stärkt nicht nur das Gegenüber. Sie stärkt auch eine Gesellschaft. Ein JA zur Ehe für alle schafft diejenigen Grenzen ab, die bis heute noch immer einen Teil, der sich liebenden Menschen vor der Gründung eines juristisch abgesicherten Familienlebens ausschliesst.

Danke.

 

Barbara Bosshard ist Präsidentin queerAltern und Autorin von «Den Himmel berühren – meine Geschichte von Trauer und erneutem Glück» sowie «Verborgene Liebe – die Geschichte von Röbi und Ernst», erschienen im Verlag Wörterseh

 

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Weitere Beiträge aus der Serie «Ehe für alle - die Debatte»

1) Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding und Kommunikationschef Simon Spengler: «Einstehen für eine Kirche, die nicht diskriminiert»

2) Bischof Josef Bonnemain: «Ich will, dass jegliche Diskriminierung beseitigt wird und gleichzeitig eine sinnvolle Differenzierung stattfindet»

3) Theologe und Autor Pierre Stutz: «Es gibt keine Liebe zweiter Klasse»

4) Bischof Joseph Bonnemain: «Weder ein billiges Ja noch ein trotziges Nein»

5) queer-Altern-Präsidentin Barbara Bosshard: «Ja, ich will – soll für alle möglich sein»

6) Theologin und Professorin Sabine Bieberstein: «Was die Bibel zu Homosexualität (nicht) sagt»