Aktuelle Ausgabe forum Pfarrblatt Globi: Anarchist und Bünzli
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Wenn Jugendliteratur von pädagogischen Fachleuten verschmäht wird, dann hat sie das Zeug zum Klassiker. Karl May war «Schund» – Pippi Langstrumpf trieb Kinder in die Anarchie – «Tim und Struppi» und «Asterix» haben ABC-Schützen ins Analphabetentum zurückgeworfen – und «Harry Potter» infiltrierte den Nachwuchs mit satanischem Gedankengut.
Am 11. Juli 1954 war in einer Basler Zeitung über einen dieser Helden unserer Kindheit zu lesen: «Sein grossmäuliges, wohlfeiles, windiges Heldentum wirkt sich vermutlich weit verheerender aus als sämtliche Bände des so verpönten Karl May.» Mit diesen und ähnlichen Worten wird Globi seit seiner Geburt 1932 immer wieder belegt. Und stets ist es vor allem das beflissene Pädagogentum, das seine Zeigefinger erhebt.
In den 1930er Jahren wurde den Globi-Büchern vorgehalten, sie nähmen die Kinder allzu ernst. Und 1943 reagierte die Jugendschriftenkommission auf Globi schmallippig mit: «Das Kind muss man zum Erwachsenen heraufschauen lassen.»
In den 1980er-Jahren allerdings kehrte der Wind. Nun war Globi ein Reaktionär, der mit Attributen wie paternalistisch, chauvinistisch, sexistisch und gewalttätig eingedeckt wurde.
Wenn man bedenkt, dass die Gesamtauflage der Globi-Bücher inzwischen die 9-Millionen-Marke längst überschritten hat, dann steht zu befürchten, dass unser Kinderfreund Globi für praktisch alles verantwortlich gemacht werden kann, was in der Schweiz in den letzten 80 Jahren schiefgelaufen ist. Wer sonst konnte sich jemals so flächendeckend und nachhaltig in die Früh-erziehung einschleichen?
Tatsächlich ist Globi die schweizerischste aller Kinderbuchfiguren und deshalb ausserhalb unserer Landesgrenzen nicht zu vermitteln. Was auf den ersten Blick nach einer ausgemachten Persönlichkeitsspaltung aussieht, funktioniert bei ihm wie bei so vielen Schweizern scheinbar ohne Anstrengung: Globi ist gleichzeitig listiger Anarchist und braver Staatsbürger – Biedermann und Brandstifter. Das Album «Globi wird Soldat» von 1940 macht «Militärgrinde» ebenso lächerlich, wie es die Wehrbereitschaft propagiert. Kurz: Globi ist ein gut eidgenössischer Anarcho-Bünzli mit stolz geschwellter Güggelibrust.
Globi hat zwei Väter
1932 hat Ignatius Karl Schiele, der damals 30-jährige Werbeleiter der Globus-Warenhäuser, höchstens davon geträumt, dass aus seinem Werbeträger für das Firmenjubiläum dereinst die populärste Kinderbuchfigur der Schweiz werden sollte. Als sich allerdings in den 1940er- Jahren der langanhaltende Erfolg abzuzeichnen begann, machte Schiele seine Marke «Globi» mit aller Konsequenz stark. Dazu diente unter anderem 1944 die Gründung der Globi Verlag AG. Globi hatte sich damit von Globus emanzipiert und machte fortan Werbung in eigener Sache.
Der unerbittliche und eitle Schiele hat Globi 35 Jahre lang bis zu seiner Pensionierung eifersüchtig bewacht. Damit hat er viele Bewunderer und Neider gewonnen, aber nicht viele Freunde. Auch mit seinem genialen Zeichner Robert Lips verband Schiele eine lebenslange Hassliebe. Lips war gerade mal zwanzig und noch Architekturstudent, als er Globi entwarf. Schiele hat den labilen, zunehmend dem Alkohol verfallenen Künstler in den Senkel gestellt und getriezt, aber sich gleichzeitig rührend um ihn gesorgt. Bis es schliesslich 1966 doch noch zum endgültigen Bruch zwischen den beiden kam.
Schiele hat im Übrigen nicht bloss das Globiversum begründet, er war auch eine gewichtige Gestalt im katholischen Milieu der Stadt Zürich. Er sass im Vorstand der katholischen Volkshochschulen, war Mitglied der Kirchenpflege in Witikon und gehörte 1962 zu den Mitbegründern der Paulus Akademie. 1967 – nach dem 37. Globi-Band – ging Schiele in Pension.
Auf das Ende der Ära Schiele–Lips folgte die schwierigste Dekade des langen Globi-Lebens, in der sich der Verlag mit Neuauflagen und «Resteverwertung» über Wasser hielt. Nach einem wenig erfolgreichen Intermezzo mit dem Karikaturisten Werner Büchi als Zeichner wurde 1980 endlich wieder ein Illustrator gefunden, der gleich mit seinem ersten Band «Globi im Wilden Westen» bewies, dass Globi auch ohne Lips überleben konnte. Peter Heinzer blieb der Reihe bis 2003 treu. Seit 1997 wird Globi allerdings von mehreren Zeichnern und Textern verantwortet, die sich in der Arbeit abwechseln.
Das Globiversum dehnt sich aus
Vordergründig hält sich Globis Moral von der Geschicht« seit jeher brav an Sitte und Ordnung – heute eher noch braver als früher. Im Jahre 1949 beispielsweise endet «Globi im Schlaraffenland» – sicher zum Wohlgefallen der Pädagogenzunft – mit folgenden eindringlichen Worten:
«Ja, das Leben ist kein Träumen
Drum legt Hand an ohne Säumen!
Jeder sei als Arbeitsglied
Seines eignen Glückes Schmied!»
Es gibt in den bislang 95 erschienen Bänden tausende solch biederer Verse – und nicht wenige davon sind längst ungeniessbar geworden. Aber sie vergällen den Kindern nur selten den Spass, weil man sie zum Vergnügen gar nicht braucht. Die ersten Abenteuer kamen sogar ganz ohne Worte aus.
Der Verdacht drängt sich auf, dass die streng genormten Verse in erster Linie dazu dienen, «die Grossen», also das pädagogische Establishment, zu befriedigen. «Die Kleinen» brauchen diesen Zierrat nicht, zumal er den Fluss der Geschichte nur unnötig hemmt. Dann schon lieber die Zeichnungen eigenhändig einfärben, solange die Geduld reicht.
Das konnte Schiele übrigens bereits 1936 durch «Feldforschung» feststellen, als er sich hinter den Ladentisch mit den damals noch wortlosen Globi-Büchern stellte, weil deren Absatz zu wünschen übrig liess. Dabei fand er heraus, dass die Mütter sich Verse zum Vorlesen wünschten und Kinder ein Papier, das ihren Malkünsten standhielt.
Das Globiversum hat sich im Laufe der Jahrzehnte weit verzweigt. Von 1935 bis 1970 erschien das Globi-Heft, es wurden Globi-Clubs gegründet und Schiele versuchte sogar, wenn auch letztlich erfolglos, mit Globi im Ausland Fuss zu fassen. Das Merchandising mit Globi hingegen treibt seit Jahrzehnten immer neue Blüten. Weiter gibt es eine Globi-Luftseilbahn, einen Globi-Express, Globi-Wanderwege und Globis Kapitänsclub. All das freut den 1988 verstorbenen Werbeprofi Schiele sicher noch im Jenseits.
Heute ist der Globi Verlag ein Imprint von Orell Füssli. Neben den Abenteuern mit Globi, von denen seit 1938 Jahr für Jahr mindestens ein neues erzählt wird, gibt es auch Geschichten mit Globine und Glöbeli. Seit einigen Jahren kocht Globi. Und in der Reihe «globi Wissen» werden die Inhalte sogar «von Fachleuten überprüft».
Irgendwann preicht»s auch den Papst
Lernhefte, Sachbücher und Hobby-Broschüren – all das profitiert mehr vom Ruhme des einzig wahren Globi, als dass es diesen mehrt. Man könnte darin sogar Verrat am Spassmacher-Credo des einstigen Pädagogenschrecks wittern. Letztlich entspricht es dann aber doch Schieles Ambitionen, denn der wollte immer gerne beides sein: wirtschaftlich erfolgreich und pädagogisch wertvoll.
Wirklich zum Leben erwacht der freche Papagei mit blauer Haut, karierter Hose und volksnaher Baskenmütze allerdings doch nur in seinen ureigenen Abenteuern, wenn er die Welt zunderobsi bringt. Da überspielt er erzieherische Einmischungen von Militär, SBB, Post und anderen staatstragenden Einrichtungen souverän. Franz Hohler hat mit seiner Einschätzung bestimmt recht: «‹Pädagogisch wertvoll› ist er jedenfalls kaum. Und das ist wohl genau das, was Kinder anzieht.»
Konfessionell ist Globi übrigens strikt neutral. Da war Schiele dann doch – und zum Glück – mehr Werber als Katholik. Es wäre für ihn bestimmt unvorstellbar gewesen, Globi einen Papst umrennen zu lassen. 2019 geschieht aber genau das: Globi zieht es nach Rom und dort auch zur Schweizergarde. Dort muss Papst Franziskus dran glauben. «Ihre Heiligkeit», wie er in den Versen respektvoll genannt wird, zeigt allerdings Humor und bringt Globi zum Staunen: «Wow, der Papst kann Rollschuh laufen, nicht nur Menschen segnen, taufen …»
Text: Thomas Binotto
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