Neue Studie der Uni Zürich Kirchen fördern Gemeinwohl
Was leisten die anerkannten Religionsgemeinschaften im Kanton Zürich zugunsten von Einzelnen und der gesamten Gesellschaft? Dieser Frage ist eine Studie der Universität Zürich im Auftrag der Direktion der Justiz und des Innern (JI) und der Zürcher Kirchen nachgegangen. Fazit: Die anerkannten Zürcher Religionsgemeinschaften stellen der Gesellschaft soziales Kapital zum Beispiel in Form von Seelsorge oder Altersarbeit zur Verfügung. Und sie leisten einen Beitrag, der nicht auf die Religion und ihre kultischen Tätigkeiten beschränkt ist.
Eine verbindliche Religionspolitik zielt darauf ab, die Chancen und Potentiale der Religionsgemeinschaften so zu unterstützen, dass sie ihre Wirkung für die gesamte Gesellschaft entfalten können. Dies tut der Kanton Zürich, indem er einerseits einen kontinuierlichen Dialog mit allen etablierten Religionsgemeinschaften führt. Andererseits steht er in einem speziellen Verhältnis mit den anerkannten Religionsgemeinschaften – der Evangelisch- reformierten Kirche, der Römisch-katholischen Körperschaft, der Christkatholischen Kirchgemeinde, der Israelitischen Cultusgemeinde und der Jüdischen Liberalen Gemeinde. Verfassung und Kirchengesetz regeln dabei Rechte und Pflichten. So erhalten die anerkannten Zürcher Religionsgemeinschaften für Leistungen, die sie unabhängig von der Pflege des Glaubens für die gesamte Gesellschaft erbringen – zum Beispiel im Bereich von Jugendarbeit, Sozialberatungen oder Bildung – vom Kanton finanzielle Beiträge in der Höhe von gesamthaft 50 Millionen Franken pro Jahr.
Leistungen der Religionsgemeinschaften untersucht
Es sind bereits mehrere Untersuchungen zu diesen Leistungen durchgeführt worden, beispielsweise die Studie von Prof. Widmer, «Kirchliche Tätigkeiten mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung». Dabei hat man Leistungen analysiert, die quantifizierbar sind, Kosten für soziale Unterstützung oder Bildungsangebote beispielsweise. Ausgeklammert blieben dabei mögliche weitere, nicht-monetäre Aspekte der religiösen Tätigkeit, die zum Gemeinwohl beitragen. Etwa in den Bereichen des sozialen Zusammenhalts oder der Wertevermittlung. Diese Aspekte haben Forschende aus den Bereichen Religionswissenschaft und Soziologie der Universität Zürich im Auftrag der Direktion JI, der Evangelisch-reformierten Kirche und der Römisch-katholischen Kirche nun untersucht. Die Studie unter Leitung von Prof. Dr. Dorothea Lüddeckens, Prof. Dr. Katja Rost und Prof. Dr. Rafael Walthert schliesst eine Forschungslücke, indem sie erstmals den Beitrag der Religionsgemeinschaften zur Solidarität, Stabilität und zum Sozialkapital einer offenen, demokratischen Gesellschaft analysiert.
Religionen erwirtschaften soziales Kapital
Die Ergebnisse zeigen, dass die wahrgenommene Bedeutung religiöser Rituale bei wichtigen Lebensereignissen wie Geburt, Hochzeit und Bestattung in der säkularisierten Gesellschaft nach wie vor gross ist. Und obwohl ein Grossteil der Teilnehmenden der Studie angegeben hat, dass sie selten religiöse Einrichtungen besuchen, ist die Wertschätzung von religiösen Bauten in der Öffentlichkeit hoch. Sie werden als wichtige kulturelle und soziale Bereicherung wahrgenommen.
Die Studie zeigt weiter auf, dass die Gemeinschaften auch soziales Kapital für Personen ausserhalb des Kreises ihrer Mitglieder zur Verfügung stellen. Diese Personen profitieren von den Hilfeleistungen, die mit den entsprechenden Netzwerken entstehen. Als besonders wichtig wurden dabei Angebote wie Seelsorge oder Altersarbeit bezeichnet.
Die Untersuchungen bezüglich Wertebasis, Arbeitsethos und Religion zeigen, dass Mitglieder religiöser Vereine sowie Menschen, die sich selbst als religiös bezeichnen, eine höhere Gemeinschaftsorientierung zeigen als die Durchschnittsbevölkerung. Zudem zeigt sich eine ausgeprägtere Traditionsorientierung von Mitgliedern religiöser Vereine und religiösen Menschen. Dies kann in pluralistischen Gesellschaften auch polarisierend und ausgrenzend wirken.
Die Ergebnisse stützen die These, dass die Wertesozialisierung in religiösen Vereinen, sei es in der Jugend oder im Erwachsenenalter, aktive politische Partizipation fördert. Zudem deuten die Daten darauf hin, dass in religiösen Vereinen bindendes Sozialkapital in Form von Freundschaften schneller entsteht als in Freiwilligenorganisationen oder bei der Arbeit.
Studie ist Ansporn für die Kirchen
Für die Kirchen bedeutet die vorliegende Studie Anerkennung ihres Wirkens und Ansporn zugleich. Anerkennung, weil wissenschaftlich aufgezeigt wird, welche qualitative Bedeutung Religionsgemeinschaften für den gesellschaftlichen Zusammenhalt haben, abgesehen vom monetären Nutzen. Denn jede Gesellschaft braucht auch ideelle Werte, die sie trägt und an denen sie sich für die Zukunft ausrichten kann.
«Ein Ziel unserer kirchlichen Arbeit ist es, Menschen aller Bildungsniveaus und verschiedener religiöser Prägung miteinander zu verbinden. Die Studie bestätigt, dass uns das gelingt und wir mit unserer Netzwerkarbeit einen wichtigen Beitrag fürs Gemeinwohl leisten», sagt Esther Straub, Kirchenratspräsidentin der Reformierten Kirche. Die Empfehlung, auch die kulturelle Vielfalt innerhalb der Netzwerke zu steigern, will Straub aufnehmen und die interreligiöse Zusammenarbeit stärken.
Die Ergebnisse der Studie stellen auch eine Herausforderung dar. Vera Newec, Vizepräsidentin des Synodalrats der Katholischen Kirche: «Kirche ist nie Selbstzweck und kirchliches Leben darf sich nie nur um sich selbst drehen. Es ist unser Erbe und unser Auftrag, als Kirchen das Wohl der Menschen und das gemeinsame Zusammenleben aller ins Zentrum zu stellen.» Diesen Auftrag wollen die Kirchen auch künftig erfüllen, ungeachtet des zahlenmässigen Rückgangs der Mitglieder.
Religionen als Chance und Risiko
Anlässlich der Präsentation der Ergebnisse unterstrich Regierungsrätin Jacqueline Fehr die Bedeutung der Religionsgemeinschaften als wichtige Ressource für die Gesellschaft. Sie trügen bei zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, stärkten den religiösen Frieden und entlasteten mit ihren Leistungen für alle Zürcherinnen und Zürcher die staatlichen Institutionen. Jacqueline Fehr betonte aber auch: «In sich geschlossene Strukturen können polarisierend wirken und bergen das Potential für Machtmissbrauch.» Und weiter: «In diesen Chancen und Risiken zeigt sich die Wichtigkeit eines geregelten und transparenten Verhältnisses zu allen Zürcher Religionsgemeinschaften.»
Die vorgestellte Studie stellt einen Beitrag dar für die Überlegungen für ein künftiges Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften.
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