Kirche aktuell

Die Kirche soll die Klappe halten

Die Kirche soll die Klappe halten
Benno Schnüriger

Benno Schnüriger ist Staatsrechtler und war von 2007 bis 2018 Präsident des Synodalrats der Katholischen Kirche im Kanton Zürich.

Benno Schnüriger
17. Januar 2019

Der frühere Synodalratspräsident Benno Schnüriger widerspricht der Forderung von CVP-Präsident Gerhard Pfister, Theologin Béatrice Acklin und Tagesanzeiger-Journalist Michael Meier, wonach Kirchenleute sich nicht in die Politik einmischen sollen. Eine Entgegnung aus staatsrechtlicher Sicht.

Natürlich wollen alle drei den Pfarrerinnen und Pfarrern nicht grundsätzlich einen Maulkorb verpassen. Aber sie wollen bestimmen, wann sich das kirchliche Bodenpersonal zu politischen Fragen äussern darf und wie. Offenbar in den tief roten Bereich gehören konkrete Meinungsäusserungen zu politischen Abstimmungen. Zum hell grünen Bereich gehören theologische Äusserungen zum Evangelium, die unverbindlichen Verweise auf Mitmenschlichkeit, Menschenwürde und Lebensschutz. Oder anders ausgedrückt:

Schöne Worte von der Kanzel, aber bitte keine Verbindlichkeit im Handeln. Als ob es in unserer direkten Demokratie am Schluss nicht immer neu darum ginge, zu einer konkreten politischen Vorlage Ja oder Nein zu sagen.

Natürlich müssen sich Seelsorgende immer gut überlegen, wann und in welchem Rahmen sie sich politisch äussern. Diese Aufgabe kann ihnen niemand abnehmen. Auch die Kirchen haben bekanntlich ganz verschiedene Kostgänger und sind in sich selbst ja keine geschlossenen Einrichtungen. Wenn die Kirchen die Kinder taufen, müssen sie auch die Erwachsenen aushalten.

Aber dass sich Béatrice Acklin – nota bene theologische Studienleiterin der katholischen Paulus Akademie – daran stört, wenn Kirchen mit biblischen Normen Politik machen, ist doch irritierend. Es sind immer Menschen, die für die Kirche handeln. Das ruft uns gerade Papst Franziskus in Erinnerung. Unbestritten können auch Pfarrerinnen und Pfarrer selbstgerecht sein, vom moralischen Hochsitz herab so tun, als ob sie wüssten, was richtig sei und falsch.

Aber wir aufgeklärten Schweizerinnen und Schweizer sind doch stolz, dass bei uns alle ihre Meinungen, Überzeugungen, Haltungen und persönlichen Werte in den politischen Diskurs einbringen dürfen.

Warum soll Generalvikar Josef Annen seine Meinung zu den Sozialdetektiven nicht in diese politische Diskussion einbringen dürfen, obwohl er als Generalvikar von Amtes wegen Präsident des Vereins Caritas Zürich ist und damit über vertiefte Kenntnisse in der Armutsdebatte verfügt? Soll ihm verboten sein, den Standpunkt der Caritas in der politischen Debatte zu vertreten? Einfach weil er ein Priester ist? Gerade dieses Beispiel zeigt, wie einfach es sich die drei mit ihrem Rundumschlag machen.

Der Zwischenruf von Pfister, Acklin und Meier gibt hingegen Anlass zu klären, wie der Staat sein Verhältnis zu den Kirchen – eben den Kirchen als Ganzes und nicht zu einzelnen Amtsträgern – sieht. Denn Staatsbürger sind wir ja alle, ob Kleriker oder nicht. Zwei unverfängliche Texte sind dabei hilfreich:

Im Antrag des Regierungsrates des Kantons Zürich zum Kirchengesetz vom 31. Mai 2006 wird zum Grundverständnis dieses Gesetzes folgendes ausgeführt:

«Die Kirchen, die sich selbst als vorbestehende, eigenständige und für öffentliches Wirken geschaffene Gemeinschaften verstehen, werden vom Staat  als wesentlich für die Gemeinschaft beurteilt und in ihrer Organisation mit den Attributen des öffentlichen Rechts ausgestaltet, ohne dass sie damit zur Staatsgewalt werden. Für diese in der schweizerischen Verfassungstradition verankerte Form des Miteinanders haben sich die Stimmberechtigten sowohl auf Bundes- als auch auf Kantonsebene wiederholt entschieden.
Zu den kirchlichen Aufgaben gehört daher insbesondere auch die Suche nach Sinn und Werten in der Gesellschaft. Gerade deshalb haben die Kirchen eine umfassende, kritische, wertebegründende und wertevermittelnde und damit integrative gesellschaftliche Funktion. Der Staat anerkennt die auf Gemeinschaft gerichtete Kraft der christlichen Tradition und versucht, ihr eine angemessene Form zu geben.
Damit kommt zum Ausdruck, dass der Staat sich selbst nicht absolut setzt und sich seiner Grenzen bewusst ist. Er bedarf der kritischen Begleitung durch eine «Potenz des öffentlichen Rechts», die das staatliche Handeln an ethischen Werten misst.»

Diesen Ausführungen der sieben Zürcher Regierungsräte schlossen sich in der Schlussabstimmung des Kantonsrats 143 Mitglieder an, vier Mitglieder stimmten dagegen; es gab einige Enthaltungen. Im Kanton Zürich sind die drei im Kirchengesetz genannten Kirchen insbesondere deshalb öffentlich-rechtlich anerkannt, damit sie den Staat, die öffentlich-rechtlichen Potenz per se, kritisch begleiten und das Handeln dieses Staates, auch wenn dies allein der Kanton Zürich ist, an ethischen Werten messen. Jedem Juristen und jeder Juristin wird in den ersten Semestern des Studiums eingehämmert, dass der Staat mittels Gesetzen handelt. Nur darum ist er ja ein Rechtsstaat. Und nun soll den Kirchen und deren Vertretern – vor allem wenn sie Pfarrer und Priester sind – genau dieses Eingreifen in den Gesetzgebungsprozess verboten werden? Da täten dem Politiker, der Theologin und dem Journalisten einige Nachhilfestunden in Jurisprudenz gut.

Pfister argumentiert, dass die Kirchen ihre Stimme häufig für die bessere hielten. Dies führe dazu, dass die Kirchen meist gesinnungsmässig argumentierten und keine Güterabwägung machten. Aber schauen wir doch einfach auf die Güterabwägung, wie sie die Bundesverfassung in der Präambel vornimmt. Sie beginnt schon mit der ähnlichen Formel, wie der Titel des TA-Artikels: «Im Namen Gottes des Allmächtigen!» (inklusive Ausrufezeichen). Das lässt fragen, was denn so falsch sein kann, wenn die Kirchen ebenfalls ihre Stimmen «im Namen Gottes» erheben? Aber die Präambel der Bundesverfassung nimmt auch die von Herrn Pfister vermisste Güterabwägung durch die Kirchenleute vor:

Das Schweizervolk und die Kantone,

(handeln) in der Verantwortung gegenüber der Schöpfung,

(handeln) im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken,

(handeln) im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben,

(handeln) im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen,

(sind sich) gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen.

Als Christ, Staatsbürger und ehemaliger Verantwortungsträger in der Zürcher Kirche frage ich mich nun:

  • Was kann denn am Votum von Bischof Felix Gmür so falsch sein, wenn er in der Energiestrategie die Verantwortung gegenüber der Schöpfung erkennt?
  • Was kann an der Willkommenskultur so falsch sein, wenn darin eine Stärkung der Offenheit gegenüber der Welt zum Ausdruck kommt?
  • Wie müssen die Revisionen von AHV und BVG ausgestaltet sein, damit sie die Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen wahrnehmen?
  • Messen sich die Revisionen in der Sozialgesetzgebung tatsächlich am Wohl der Schwachen und führen so zu einer Stärkung des Volkes?

Die Leitlinien und Güterabwägungen für die im politischen Tagesgeschäft anzustrebenden Kompromisse sind gesetzt – für Politiker und Parteien, wie für Pfarrer und Kirchen. Warum ärgern sich Pfister, Meier und Acklin, wenn sie jemand daran erinnert?

 

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Der Jurist Benno Schnüriger (67) stand zwischen 2007 und 2017 dem Synodalrat als Präsident vor. Er wird am 22. Januar in der reformierten Kirche Hinwil im Rahmen der Hinwiler Kirchenwoche (20.-27.) zur Relevanz der Kirchen für Gesellschaft und Staat referieren.