Kirche aktuell

Amazonas-Synode Das «Macht-Wort» des Papstes

Rudolf Vögele

früherer Leiter Pastoral im Generalvikariat

Rudolf Vögele
Papst Franziskus habe nichts zu Zölibat und Frauenweihe gesagt und sei deshalb ein Zauderer, kritisieren viele Kommentare. Rudolf Vögele, Leiter des Ressorts Pastoral im Zürcher Generalvikariat, sieht das anders. Für ihn hat Franziskus ein klares «Macht-Wort» gesprochen, nämlich «Macht weiter so!» Für ihn ermutigt der Papst zum Selber-Machen.
18. Februar 2020

Seit Erscheinen des Nachsynodalen Schreibens Querida Amazonia (QA) am 12. Februar habe ich mit grosser Aufmerksamkeit die Kommentare in Zeitungen, auf Facebook oder Onlineforen verfolgt. Zunächst war die Rede von grosser Enttäuschung, von unerfüllten Erwartungen und einer Diffamierung von Frauen. Man hätte den Eindruck gewinnen können, als bestehe dieses päpstliche Schreiben nur aus dem vierten Kapitel, in dem Franziskus nach einer sozialen, kulturellen und ökologischen sich auch mit der kirchlichen Vision befasst. Glücklicherweise stiess ich bei meinen Recherchen auch auf eine Interpretation des bekannten Pastoraltheologen Paul M. Zulehner, den er mit «Ein Pyrrhussieg der Ideologen» überschrieben hat[1], ein kurzfristiger Erfolg für Kirchenleute im Schlag von Kardinal Gerhard-Ludwig Müller, der aber zu teuer erkauft ist und nicht lange andauert. Und auch der Kommentar von Maria Mesrian, einer Vertreterin von Maria 2.0., die diesen Papstentscheid ausdrücklich begrüsst[2], hat mich zu der Überzeugung gebracht, dass ich wohl nicht das falsche Dokument gelesen hatte.

Slider

Vorweggesagt: Es stimmt, was Bischof Felix Gmür in seinem Kommentar schreibt: «Er lobt den ausgerollten Teppich des Schlussdokuments, läuft aber selber nicht darüber.» So wie er auch andernorts rote Teppiche gerne meidet, überlässt er es den Laien, über diese zu schreiten – hier vor allem der indigenen Bevölkerung Amazoniens. Ihre Klage ebenso zu hören wie die der Erde (8) ist die eigentliche Herausforderung von QA. Aber die Themen, die in der vorausgegangenen Synode behandelt wurden und die Franziskus keineswegs ersetzen möchte, sollen zugleich «auch anderen Regionen der Erde im Hinblick auf ihre eigenen Herausforderungen als Anregung dienen» (5).

Über weite Strecken liest sich QA wie eine Konkretisierung von seinem Schreiben Laudato si, das er 2015 herausgegeben hat und das Wim Wenders in seinem Film «Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes» eindrucksvoll ins Bild gebracht hat.

Insofern finde ich es äusserst schade und bedrückend, dass gerade auf diese ersten drei Kapitel in deutschsprachigen Rezeptionen kaum oder nur wenig Bezug genommen wird. Denn Arme, Ausgegrenzte, Benachteiligte, Ausgebeutete gibt es auch bei uns – auch in der reichen Schweiz. Und Aufgabe der Kirchen wäre es demzufolge, gerade ihnen ein Dialogforum zu bieten, bei dem wir als Kirchenleute als Gäste teilnehmen. Nicht ‘Für-Sorge’, sondern Begegnung und Gespräch sollen im Vordergrund stehen: «Ihr Wort, ihre Hoffnungen, ihre Befürchtungen sollen bei jedem Gesprächstisch die wichtigste Stimme darstellen. Und die grosse Frage ist: Wie stellen sie sich selbst das ‹Gute Leben› für sich und ihre Nachkommen vor?» (26) Als pastoraler Mensch denke ich da natürlich an etliche Kirchen- und Pfarreientwicklungsprozesse, bei denen Kircheninsider darüber beraten, wie sie die angeblich Fernstehenden wohl besser erreichen -anstelle mit gerade diesen ins Gespräch zu kommen.

Ich könnte Seiten füllen mit Zitaten aus QA, die mich inspiriert und fasziniert haben – wie zum Beispiel: «Eine Kultur kann unfruchtbar werden, wenn sie sich in sich selber verschließt und veraltete Lebensformen zu verewigen sucht, indem sie jeden Austausch und jede Auseinandersetzung über die Wahrheit vom Menschen ablehnt.» (37) – eine Absage an all jene, die meinen, allein die Wahrheit gepachtet zu haben und andere diskriminieren, die anderer Meinung oder Orientierung sind. Oder auch: «Es wird keine gesunde und nachhaltige Ökologie geben, die fähig ist, etwas zu verändern, wenn die Personen sich nicht ändern, wenn man sie nicht dazu anspornt, einen anderen Lebensstil anzunehmen, der weniger unersättlich ist, ruhiger, respektvoller, weniger ängstlich besorgt und brüderlicher [geschwisterlicher].» Aber anstelle weiterer Zitate möchte ich nun doch auch auf dieses umstrittene Kapitel vier zu sprechen kommen, das ich offenbar ganz anders lese als andere.

Zugegeben: ich habe zunächst auch einige Zeilen in einer anderen Farbe angestrichen, weil sie mich zunächst störten oder zuwiderliefen. Das Frauenbild, das in dem 83jährigen Argentinier steckt, die Überbetonung der Eucharistie und die Notwendigkeit, dass nur ein Priester dieser vorstehen kann (86-88), und einiges mehr haben mir erst einmal Magenknurren bereitet.

Ich wurde aufmerksamer, als Franziskus nach all diesen Ausführungen jedoch betont: «Es geht also nicht nur darum, eine größere Präsenz der geweihten Amtsträger zu ermöglichen, die die Eucharistie feiern können. Dies wäre ein sehr begrenztes Ziel, wenn wir nicht auch versuchen würden, neues Leben in den Gemeinden zu wecken.» (93) Und im nächsten Kapitel: «Dies setzt in der Kirche die Fähigkeit voraus, der Kühnheit des Geistes Raum zu geben sowie vertrauensvoll und konkret die Entwicklung einer eigenen kirchlichen Kultur zu ermöglichen, die von Laien geprägt ist.»[3] Dies verlange von der Kirche «eine besondere Anstrengung, um eine Präsenz in der Fläche zu erreichen, was nur zu verwirklichen ist, wenn die Laien eine wirklich zentrale Rolle innehaben.» (94)

Franziskus geht es also gar nicht um ‹einfache› Lösungen: sogenannte ‹bewährte Männer oder Frauen› zu weihen birgt die Gefahr in sich, die von ihm so sehr verpönte Klerikalisierung noch zu verlängern. Oder wie es Paul M. Zulehner in einem anderen Artikel so treffend formuliert: «Jetzt rasch verheiratete Diakone zu weihen wäre nur eine Verlängerung des Siechtums unserer sterbenden Kirchengestalt, die sich mit Hilfe von unerwünschten Strukturreformen über die Runden zu bringen versucht.»[4]

Franziskus träumt vielmehr von einer Kirche, in der priesterliche Dienst aus den Gemeinden herauswachsen: «Die Laien können [sollen?] das Wort verkünden, unterrichten, ihre Gemeinschaften organisieren, einige Sakramente feiern, verschiedene Ausdrucksformen für die Volksfrömmigkeit entwickeln und die vielfältigen Gaben, die der Geist über sie ausgießt, entfalten.» (89) Aus solchen Laiengemeinschaften können dann, wie es fortwährend in der Laiengemeinschaft Sant’ Egidio in Rom[5] und anderswo geschieht, priesterliche Berufungen erwachsen, wenn das Bedürfnis da ist. Dazu braucht es aber den Abschied von einem falsch verstandenen Hierarchieverständnis: ‘Laien’ sind nicht die unterste Stufe der kirchlichen Ebenen, sie sind die Basis, der Boden, auf dem alles erst erwächst. Um wieder mit Paul M. Zulehner zu sprechen: Bischöfe, Ortskirchen, Pfarreien «müssen ihr Zaudern bis hin zur Feigheit, ihre Unterordnung an die römische Zentrale und Papsthörigkeit überwinden. Denn sowohl in den Köpfen der Ideologen wie auch der nun frustrierten Reformer sitzt immer noch ein antiquierter Papalismus.» 

Nach meinem Eindruck hat Papst Franziskus in diesem Schreiben erneut und wiederholt ein ‹Macht-Wort› gesprochen: Macht doch! Habt Mut und scheut nicht das Risiko… Die römisch-katholische Kirche erneuert sich nicht durch ein Machtwort des Papstes von oben her, sondern durch euer Machen von unten her.

 

[1] https://zulehner.wordpress.com/2020/02/12/ein-pyrrhussieg-der-ideologen/

[2] https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-diesseits-von-eden/audio-gegenmeinung-maria--begruesst-papstentscheid-100.html

[3] Kursivschrift auch im Original: also eigens betont!

[4] https://zulehner.wordpress.com/2020/02/12/zwischen-frustration-und-zuversicht/

[5] Vgl. https://www.santegidio.org/pageID/30008/langID/de/DIE-GEMEINSCHAFT.html. Dass Franziskus sehr viel von dieser Comunità hält, zeigt sich schon dadurch, dass er dessen Pfarrer, Don Matteo Maria Zuppi, 2015 geradewegs zum Erzbischof von Bologna und 2019 zum Kardinal ernannte.