Kirche aktuell

Interview-Serie Kirche leben in Corona-Zeiten

Wir fragen kirchlich engagierte Menschen, wie sich ihr eigenes Leben und ihre Arbeit im Lockdown verändert haben. Und was nach Corona davon bleibt. Den Auftakt macht Tatjana Disteli, Bereichsleiterin «Seelsorge Gesundheitswesen und Inklusion» und »Ökumenische Seelsorge» im Generalvikariat.
23. April 2020 Katholische Kirche im Kanton Zürich

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Was war für Sie das einschneidenste Ereignis seit dem Lockdown?

Tatjana Disteli: Immer noch wache ich morgens auf und denke: «Ist das alles wirklich wahr?» Immens betroffen machen mich die isolierten betagten Menschen, die Sterbenden in unseren Alters- und Pflegeheimen. Da spielt sich die wahre Corona-Tragik ab.

Wie gehen Sie persönlich mit der neuen Situation um?

Eine kurze Zeit lang wurde ich selber etwas phobisch. Alles in allem habe ich die Situation akzeptiert. In der Schweiz geht es uns vergleichsweise sehr gut, und dafür bin ich dankbar.

Ihr schönstes Erlebnis in der Corona-Zeit?

Die nie dagewesene Nachbarschaftshilfe über alle Generationen hinweg beeindruckt mich tief – und genauso die unerwartete Innovationskraft der Kirchen, um für die Menschen hier und heute da zu sein: Die Corona-Zeit scheint das Beste aus uns herauszuholen. Gesellschaft und Kirche wissen wieder, was wirklich wichtig ist - und was weniger.

Hat Corona die Kirche verändert?

Und wie! Die Entscheidungswege sind kürzer. Die Seelsorgenden machen auch unter diesen Bedingun­gen eine fantastische Arbeit. Ich habe den Eindruck, Corona hat uns aus der Starre des Alltags herausbugsiert und ermöglicht, «out oft he box» zu denken. In unseren verschiedenen Funktionen sind wir zusammen­gewachsen. Reibungspunkte sind kleiner geworden, der verbindende Sinnzusammenhang stärker: Wir haben es von heue auf morgen geschafft, über unsere kirchliche Nabelschau hinaus zu wachsen. Gleichzeitig beziehen wir mit Rückgrat Stellung, wo es nötig ist.

Was soll nach dem Ausnahmezustand für das kirchliche Leben bewahrt werden?

Ich wünsche mir, dass wir weiterhin neu mit einer gehörigen Portion Inspiration auf dem Weg sind: Mit weniger Bürokratie, dafür näher beim Menschen. So bleiben wir fähig, flexibel auf neue Situationen einzugehen. Dass wir dabei neu als glaubwürdige Menschen im Dienst an der Gemeinschaft wahrge­nom­men werden, ist nur eine der positiven Nebenwirkungen.

Was haben Sie persönlich aus der Corona-Crise gelernt?

Wie heilsam es ist, weniger Trubel um mich zu haben, mich beschränken zu müssen. Nähe und (Arbeits-)Beziehung können eine Zeit lang auch anders gelebt werden - sie können sogar an Tiefe gewinnen.

Hat der Lockdown neben all der bedrückenden Seiten auch etwas Gutes?

2020 wird zum Fastenjahr par exellence. Besinnung. Rück-Besinnung. Religio. Was gibt mir Kraft, was ist mir wichtig? Ich glaube, dass wir trotz der Tragödien in vielen Familien und Unternehmungen gestärkt aus dieser Krise hervorgehen werden. Es wird uns bewusst: Die Dinge müssen nicht so bleiben, wie sie «immer schon waren». Jetzt habe ich wieder Mut, zu träumen!