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Wir haben Sie gebeten, uns ein Foto mitzubringen, das mit dem James-Webb-Teleskop aufgenommen wurde. Was ist darauf zu sehen?
Thomas Zurbuchen: Nur zwei Punkte sind Sterne, jeder andere Punkt auf dem Bild ist eine -eigene Galaxie. Dass andere Galaxien überhaupt existieren, wissen wir erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Interessant an dem Bild ist, dass eine Galaxie, die darauf zu sehen ist, über 13 Milliarden Jahre alt ist.
Sie könnte also ganz am Anfang des Universums entstanden sein.
Das ist die erste Generation der Galaxien. Ich zeige dieses Bild einerseits, weil es uns den Blick erweitert und uns das Universum in seiner Tiefe erschliesst. Andererseits hat es einen emotionalen Wert, weil es das erste ist, das wir mit dem James-Webb-Teleskop gemacht haben. Wir wussten, dass es funktioniert und es damit erstaunlich einfach ist, ganz alte Galaxien zu sehen.
Was meinen Sie, wenn Sie von der Tiefe des Universums sprechen?
Dann spreche ich von der Zeit. Unsere Galaxie hat eine Ausdehnung von 100 000 Jahren, so lange braucht das Licht vom einen bis zum anderen Ende. Wir sehen auf dem Bild zurück in die Zeit und damit Dinge, die älter sind als unsere Galaxie.
Das bedeutet, dass wir Galaxien sehen, die es gar nicht mehr gibt?
Absolut. Die meisten, die wir auf dem Foto sehen, sind nicht mehr dort, aber ihr Licht ist immer noch unterwegs zu uns. Das Wichtigste ist: Das Bild zeigt uns einfach, dass das Universum noch viel schöner ist, als wir gedacht haben.
Ist Schönheit mit Blick auf das Universum ein -ästhetischer Begriff oder spielt das Wissen eine Rolle?
Beides. Ich habe bei der Nasa immer Kalender gemacht und gesagt, die Bilder müssen auch für Menschen schön sein, die nichts über das Universum wissen. Aber wenn Wissen dazukommt, wird es noch schöner. Seit ich etwa weiss, dass die Sonne ein Stern ist, der ständig Material auswirft und auf dessen Oberfläche Stürme toben, wird sie für mich jeden Tag schöner. Vorher war sie einfach eine leuchtende Scheibe, jetzt ist sie ein lebendiger Stern, über den ich immer wieder staune.
Wissen Sie nicht längst zu viel, um noch staunen zu können?
Ich staune heute sogar noch mehr, wenn ich in den Sternenhimmel blicke – gerade weil ich mehr darüber weiss. Jedes Kind versteht, was es bedeutet, über die Natur zu staunen. Und sogar in der Bibel steht, dass Jesus gesagt haben soll: «Werdet wie die Kinder» (Mt 18,3). Um die Schönheit zu geniessen, neugierig zu sein und Fragen zu stellen, ohne zu denken, das sei peinlich, müssen wir wieder kindlich werden. So können wir Zusammenhänge erfassen, die viel grösser sind als wir.
Es geht also nicht um ein naives Staunen, das durch das Wissen entzaubert wird, sondern die Erkenntnisse vergrössern das Staunen?
Genau. Mit meinem Wissen staune ich auf einer höheren Ebene. Zudem sind Kinder ja nicht naiv. Kinder sind hungrig nach Wissen.
Mit dem Wissen wächst allerdings auch die Angst: Wer den Zustand der Erde kennt, macht sich grosse Sorgen.
Ich trenne zwei Arten von Angst. Ich weiss, dass in ferner Zeit unsere Galaxie auf eine andere trifft und zerstört wird. Da halte ich mich an die Stoiker: Ich beschreibe es und lege es zur Seite. Und dann gibt es Ängste, die wir beeinflussen können: durch die Art, wie wir leben, was wir essen, wie wir mit unserer Umgebung umgehen. Diese Angst sollten wir als Treibstoff nutzen für gute Taten und politische Veränderungen. Lähmende Angst ist nicht gut. Genauso schlimm ist Resignation. Es gibt Leute, die ich nie in mein Team aufnehmen würde. Zyniker sind solche Menschen. Mit Kritik habe ich kein Problem, aber wer zynisch ist, hat aufgegeben. Ich will mit Menschen arbeiten, die daran glauben, dass wir die Welt verändern können. Und das können wir, jeder Mensch kann das. Auch davon erzählt die Bibel.
Hinter dem James-Webb-Teleskop steht eine unglaubliche Team-Leistung. Wie funktioniert ein gutes Team?
Zuerst braucht es ein Warum. Alle Beteiligten müssen sehr genau wissen und verstehen, warum sie tun, was sie tun müssen. Und dass sie Verantwortung tragen.
Wie viele Menschen waren das beim James-Webb-Teleskop?
Insgesamt etwa 10 000. Gebaut haben es dann rund 2000.
10 000 Menschen mussten also wissen, warum?
Genau. Zudem ist zentral, wie wir miteinander umgehen. Wir dürfen keine Angst haben, Fehler zuzugeben. Ein Team hat dann Erfolg, wenn alle Fehler machen dürfen, ohne dass diese Fehler das Ergebnis gefährden. Das bedeutet: Wenn jemand einen Fehler macht, findet die Nächste es heraus – und umgekehrt. Zudem ist die Arbeitsgeschwindigkeit wichtig. Wie beim Marathon: Zu schnell rennen ist verheerend, zu langsam jedoch auch. Als Chef muss ich die Geschwindigkeit richtig einstellen. Vom Büro aus kann ich das nicht, ich muss raus, mit den Leuten sprechen. Und dann kann etwas Magisches passieren.
Worin liegt diese Magie?
Im James-Webb-Team war es wie in einem guten Sportteam: Es gewinnt, bevor es den ersten Match gespielt hat. Es gewinnt im Kopf. Das Team weiss, wir können gewinnen, wir haben alles, was wir brauchen, wir haben geübt, und wir verstehen, was die anderen tun. Plötzlich hat man einen Sieg, dann den nächsten, und auf einmal hat man eine richtige Siegessträhne. Das gibt eine unglaubliche Motivation, und das Team wird immer besser. Beim James-Webb-Teleskop hatten wir mit unglaublichen Problemen zu kämpfen. Zum Beispiel musste sich das Teleskop als Ganzes erst ausfalten, als es bereits im All war. Kein Spezialist konnte mir voraussagen, ob das gut gehen würde. Das Team musste unerwartete Probleme innerhalb von Stunden oder gar Minuten lösen. Das Teleskop konnte sich perfekt ausfalten. So etwas gehört für mich zu den schönsten Erfahrungen.
Sie sollen bei der Nasa zwei Personen angestellt haben, die gerade auch Ihnen gegenüber als Leiter Nein sagen sollten. Stimmt das?
Ja, absolut.
Haben Sie solche Leute auch jetzt neben sich an der ETH Zürich?
Ich ermuntere auch hier meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mir zu widersprechen. Allerdings habe ich momentan nicht jeden Tag Entscheide zu treffen, die eine riesige Tragweite haben, und es geht bei denen auch nicht um so hohe Geldsummen wie bei der Nasa. Die Hitze des Gefechts ist gerade nicht ganz so gross.
Der Stern von Bethlehem führt in der Bibel -Menschen auf einen Weg. Haben Sterne eine -Botschaft?
Ich weiss es nicht. Für mich nicht. Vor Tausenden von Jahren war Religion tatsächlich stärker verbunden mit dem Blick in die Sterne. Für mich allerdings macht, astronomisch gesehen, die Astrologie keinen Sinn. Wenn ich eine Botschaft in den Sternen lese, dann die von der Schönheit der Natur.
Hat der Sternenhimmel also keine spirituelle Bedeutung?
Wenn ich 1000 Astrophysikerinnen und Astrophysiker frage: «Wer ist hier gläubiger Christ?», gibt es Hände, die hoch gehen. Frage ich: «Wer ist Atheist?», dann gehen auch Hände hoch. Tatsache ist, gute Wissenschaft hängt nicht davon ab, ob jemand gläubig ist oder nicht
Wo würde Ihre Hand hochgehen?
Wenn ich die Natur anschaue, dann sehe ich Muster und Regeln darin, die mir wichtiger vorkommen als jeder Einzelne und wir alle gemeinsam. Ich sage dem nicht unbedingt Gott oder den Namen eines spezifischen Gottes einer Religion, aber ich kann gut verstehen, wie andere das tun. Für mich gibt es diese höhere Ordnung, die dort ist.
Ihr Vater war ein evangelischer Prediger. Was von dem, was Sie von ihm gehört und gesehen haben, ist für Sie bis heute wesentlich?
Mein Vater war unglaublich gut darin, Menschen davon zu überzeugen, an das Warum zu denken. Er konnte Menschen auch sehr gut verstehen. Und er war absolut ehrlich. Er hat immer versucht zu tun, was er sagte und predigte. An seiner Beerdigung waren 450 Leute, und viele von ihnen sagten mir, mein Vater habe ihr Leben zum Positiven verändert. Wenn Religion so ist, habe ich wirklich kein Problem damit. Für mich hat Religion viel mehr mit Taten zu tun als mit Worten.
Wird die Erde eines Tages unbewohnbar sein? Wie realistisch ist es, dass Menschen dann zum Mars fliegen, um dort zu leben?
In fünf Milliarden Jahren ist die Erde nicht mehr bewohnbar, weil die Sonne uns keinen Treibstoff zum Leben mehr geben kann. Die Frage ist allerdings: Passiert schon früher etwas – weil wir selbst die Erde negativ beeinflussen oder weil eine Katastrophe aus dem Weltraum kommt? Alles ist möglich, wir sehen dies überall. Ich finde es schwierig, den Mars zu sehen, als wäre er eine Ersatz-Erde. Der Mars ist ganz anders bezüglich seiner Lebensfreundlichkeit. Ich finde, wir sollten den Mars unbedingt erforschen. Aber wir sollten uns in erster Linie darauf konzentrieren, unsere Erde zu beschützen, weil alle, die wir lieben, hier sind, weil unsere Kinder hier leben und hoffentlich auch noch deren Kinder.
Dieses Interview erscheint im forum und in der Zeitschrift reformiert.
Text: Felix Reich, Veronika Jehle
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