Zum Welt-Aidstag 2021 Aktuelles Wissen über eine chronische Erkrankung
Das Problem: Das Wissen in der Gesellschaft rund um HIV und Aids ist lückenhaft, die Vorbehalte nach wie vor gross. Im einem neuen Video-Projekt, «BLACK BOX HIV/AIDS», erzählen Betroffene, wie die HIV-Erkrankung ihr privates und soziales Leben beeinflusst. Fachleute vermitteln aktuelles Wissen zu Ansteckungsrisiken und zur Prävention, zu Therapiemöglichkeiten, zum Stand der Impfstoffentwicklung oder zur rechtlichen Ungleichbehandlung Erkrankter.
Thomas von Grüningen (58), Journalist und ehemaliger SRF-Redaktor, hat die Interviewreihe für die hiv-aidsseelsorge entwickelt und umgesetzt. Sie ist auf Youtube zu sehen.
Frage: Wie entstand die Idee zum Projekt?
Bruno Willi, der Leiter der hiv-aidsseelsorge, hat mich bereits im Mai dieses Jahres im Zusammenhang mit der Langen Nacht der Kirchen kontaktiert. Ihn treibt um, dass es trotz des medizinischen Fortschrittes und der guten Behandelbarkeit der Krankheit sehr grosse Stigmatisierungen der betroffenen Menschen gibt. Auch aufgrund von Unwissenheit. Jedes Jahr kommen mehrere hundert Jugendliche aus Pfarreien ins Gespräch mit HIV-Infizierten. Das Wissen der Jugendlichen über HIV ist meist sehr lückenhaft. Sie haben, woher auch immer, oft Bilder aus der ersten Phase der Epidemie im Kopf – von den ausgemergelten Menschen, die bald sterben. Wir möchten mit dem Vermitteln von aktuellem Wissen, wie HIV-Betroffene heute leben, einen Beitrag gegen die Stigmatisierung leisten. Und jungen Menschen sagen: Es ist gefährlich, aber es gibt viele Schutzmöglichkeiten.
Was sagen Sie zu dem Vorurteil, dass nur Drogenabhängige, Prostituierte oder homosexuelle Männer das Virus bekommen?
In der Schweiz wurden im letzten Jahr 290 Neu-Ansteckungen gemeldet. Erstmals seit Beginn der HIV-Epidemie in den 80er-Jahren sank die Zahl unter 300. Rund 60% der Ansteckungen betreffen heterosexuelle Frauen und Männer. Dem Virus ist es egal, welchem Geschlecht wir uns zugehörig fühlen. Viele junge Menschen haben den Eindruck: Uns geht das nichts an, HIV ist etwas, was bloss die Älteren betrifft. Das ist eine äusserst gefährliche Fehleinschätzung. Mich erstaunt wirklich, wie wenig aktuelles Wissen vorhanden ist. Die Fragen der Jugendlichen wie: „Kann man sich beim Küssen mit HIV anstecken?“ zeigen es deutlich.
Wie erleben Betroffene die Stigmatisierungen?
Jeder und jede Betroffene hat es anders erlebt. Aber die Stigmatisierungen sind wirklich da: es gibt Ängste und eine moralische Beurteilung. Ein Koch erhielt die Kündigung, weil er einem Arbeitskollegen von seiner HIV-Infektion im Vertrauen erzählt hatte. Der Chef hatte Angst, das Restaurant könnte Gäste verlieren. Ein sterbender älterer Mann musste das Pflegeheim verlassen, da das Personal sich weigerte, ihn zu pflegen. Ein Zahnarzt verweigerte einem HIV-Positiven die Behandlung. Keine dieser Personen war ansteckend – aufgrund der medizinischen Behandlung. Es hat mich schon erschreckt, dass selbst medizinisch geschultes Personal nicht Bescheid weiss.
Zu beobachten ist häufig auch eine Selbststigmatisierung. Die Betroffenen haben Angst, über ihre Erkrankung zu reden, da sie fürchten, ausgeschlossen zu werden. Bei der hiv-aidsseelsorge finden sie immer ein offenes Ohr, dürfen über alles reden, ohne bewertet zu werden. Im Zenrum steht der Mensch, das durfte ich miterleben. Ich fand es sehr eindrücklich, wie offen die Betroffenen auch vor der Kamera gesprochen haben.
Hier sind die verschiedenen Videos aus der Reihe «BLACK BOX HIV/AIDS» zu sehen.
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