Pfarreiliche Soziale Arbeit - professionell und menschlich
Viereinhalb Jahre lang hat Angelika Witzig die Fachstelle Pfarreiliche Soziale Arbeit geleitet. Ende Juli ist sie zu neuen Ufern aufgebrochen. In ihrem Beitrag fragt sie kritisch nach: Braucht es professionelle Soziale Arbeit in der Kirche und wer ist unser Nächster?
Als Leiterin der Fachstelle Pfarreiliche Soziale Arbeit wurde ich immer mal wieder gefragt, ob es bei all den professionellen Angeboten von Organisationen und Institutionen, inklusive der gesetzlichen Sozialhilfe, wirklich zusätzlich bei der Kirche Profis für soziale Themen (Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter) brauche.
Überspitzt formuliert: Reichen in der Kirche nicht einfach gebende Hände und offene Ohren?
Eine Notlage entsteht in den seltensten Fällen von heute auf morgen und äusserst selten nur aufgrund eines einzelnen Faktors. Situationen, die zur Prekarität führen, sind oft komplex und umfassen verschiedenste Themenbereiche wie Ausbildung, Arbeit, Wohnsituation, Gesundheit, Beziehungen, soziale Kontakte, Integration etc. Will man einer Person in einer schwierigen Situation nachhaltig helfen, braucht es eine gute Analyse der zugrundeliegenden Faktoren und ein solides Fachwissen, um die Zusammenhänge verstehen und zusammen mit dem Klienten/der Klientin gute Lösungen suchen zu können. Eine gebende Hand ohne Fachwissen lindert erfahrungsgemäss im besten Fall die dringendsten Symptome, hilft aber der betroffenen Person weder mittel- noch langfristig.
Viele soziale Stellen sind heute stark spezialisiert und stehen unter enormem Zeitdruck. Zum Beispiel kann die gesetzliche Sozialhilfe ihrem Auftrag, auch Begleitung zu gewährleisten, oft kaum mehr gerecht werden. Mehr Zeit für die Klientel ist nicht nur aus menschlicher Sicht wünschenswert, sondern genauso aus wirtschaftlicher Sicht lohnenswert. Bessere Begleitung spart erwiesenermassen mittel- und langfristig Kosten, da die Personen eher und schneller wieder unabhängig von fremder Unterstützung werden. Also ja, offene Ohren sind durchaus eine Qualität, die Hilfesuchende brauchen – auch in einer Pfarrei. Aber hier gilt ebenfalls: Will der Person nachhaltig geholfen werden, reicht Offenheit alleine ohne professionelles Fachwissen nicht aus.
Professionalität ist also Voraussetzung um nachhaltig helfen zu können. Die kirchliche Soziale Arbeit hat aber noch mehr zu bieten. Sie ist niederschwellig und der Menschlichkeit verpflichtet.
Im Unterschied zu den meisten Beratungsstellen ist die pfarreiliche Soziale Arbeit polyvalent, also offen für jedweilige Themen. Und genau das ist ein wesentliches Plus. Es ermöglicht, dass sich Menschen in Notsituationen in ihrer gesamten Komplexität an den Sozialdienst der Pfarrei wenden können. Oft ist in prekären Situationen eine erste thematisch möglichst breite Anlaufstelle bitter nötig, da nur so die nächsten Schritte geklärt werden können. Unser Sozialsystem ist grundsätzlich gut. Für viele ist es jedoch nicht leicht, sich darin zurecht zu finden. Auf welche Leistungen habe ich Anspruch? An wen kann ich mich bei welcher Thematik wenden? Hinzu kommen oft Scham und Angst, manchmal auch Sprachbarrieren. Hier kann ein Sozialarbeiter/ eine Sozialarbeiterin der Pfarrei helfen, kann Menschen informieren, ermutigen und begleiten.
Niederschwellig ist die pfarreiliche Soziale Arbeit auch, weil sie Teil der Lebenswelt der Hilfesuchenden ist. Anders als andere Beratungsstellen ist sie da eingebettet, wo die Menschen leben. Dadurch kann pfarreiliche Soziale Arbeit Menschen untereinander vernetzten oder in die Gemeinschaft miteinbeziehen.
Solange sich Menschen in Not an die Kirche wenden, ist sie gefordert, sich der Not der Hilfesuchenden anzunehmen und zwar nicht nur menschlich, sondern auch professionell. Es lohnt sich, in eine professionelle Stelle zu investieren und Notleidenden nebst materiellen Hilfestellungen vor allem auch Fachwissen zur Verfügung zu stellen. Und so wie Seelsorger und Seelsorgerinnen bei uns selbstverständlich über eine entsprechende Ausbildung verfügen, sollten auch Personen, die sich den sozialen Anliegen von Hilfesuchenden in einer Pfarrei annehmen, ebenfalls Profis, sprich Ausgebildete der Sozialen Arbeit sein. Es ist ein Privileg der Kirche, dass sie zusätzlich zum professionellen Angebot den Menschen Zeit schenken kann. So kann sich Hilfe zur Selbsthilfe noch wirksamer entfalten.
Weiter fragt sich: Wem soll dieses Hilfsangebot der Kirche offen stehen? Für wen hat die Kirche zu sorgen?
Der diakonische Auftrag ist einer der Grundvollzüge der Kirche. Als öffentlich-rechtlich anerkannte Körperschaft erhält sie Beiträge vom Staat und Kirchensteuern von juristischen Personen, um Menschen zu unterstützen und zu begleiten – unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, ihrer Herkunft oder ihrer weltanschaulichen Ausrichtung. Diese finanziellen Mittel machen im Kanton Zürich rund 43 Prozent aller Einnahmen aus. Die Aussage «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst» erhält in diesem Zusammenhang durchaus auch eine finanzielle Komponente und einen verfassungsrechtlichen Auftrag. Der theologische Bezug muss nicht weit gesucht werden. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Und auf die Frage, wer denn der oder die Nächste sei, antwortete Jesus: «Die Person, der du zum Nächsten/zur Nächsten wirst. » Die Frage ist also nicht, für wen die Kirche zuständig ist, sondern, ob wir uns von dieser Botschaft berühren lassen und immer wieder zum Nächsten/zur Nächsten für diejenigen werden, die sich an die Kirche und damit an uns wenden.
Angelika Witzig, ehemalige Leiterin Fachstelle Pfarreiliche Soziale Arbeit (Jan. 2014 – Juli 2018). Die Fachstelle ist eine Kooperation der Katholischen Kirche im Kanton Zürich und Caritas Zürich. Von den insgesamt 95 Pfarreien im Kanton Zürich haben aktuell 45 Pfarreien eine Stelle für pfarreiliche Soziale Arbeit (selten zwei), meist zwischen 50 und 80 Prozent. Zusätzlich bieten auch einige Missionen und Fachstellen diese Dienstleistung an. Pfarreiliche Soziale Arbeit hat je nach Institution und Stellenprozenten ein anderes Profil. Zu den Kernaufgaben gehören die Sozialberatung für Hilfesuchende, die Arbeit mit Senioren, Familien und/oder geflüchteten Menschen. Auch die Arbeit mit Freiwilligen, die Fachberatung bei sozialen Fragestellungen so wie Öffentlichkeitsarbeit zählen zum Tätigkeitsfeld von pfarreilichen Sozialarbeitenden.
Ausgezeichneter Bericht! Werde ich (ebenfalls Sozialarbeiterin) an Pfarreien weiterleiten. Mir scheint, dass diese Einsicht noch nicht überall angekommen ist.
Herzlichen und Dank fürs Feedback und ja, sehr gerne weiterleiten!
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