Josef Annen zu Veronika Jehle «Deine kritische Stimme tut uns gut»
Herr Generalvikar, Sie sind oberster Vorgesetzter von Veronika Jehle. Haben Sie die Seelsorgerin am Central besucht?
Josef Annen: Ich hatte heute Gelegenheit, mit Veronika Jehle am Central zu sprechen.
Was haben Sie ihr gesagt?
Ich habe ihr gesagt: «Ich bewundere deinen Mut und deine Ausdauer. Du stehst hin und setzt dich für die Erneuerung unserer Kirche ein. Deine jugendlich-frische und kritische Stimme tut uns gut, auch wenn ich nicht mit allem einverstanden bin.»
Jehle klagt öffentlich an, in der katholischen Kirche bewege sich «trotz aller Versprechen gar nichts». Wie schätzen Sie die Situation unserer Kirche ein?
Das Bild, das in der Öffentlichkeit vorherrscht, stimmt nur teilweise. Auf weltkirchlicher Ebene tut sich nach aussen einiges. Papst Franziskus kämpft an vorderster Front für die Rettung der Schöpfung und die Erreichung der Klimaziele. Bei der Aufnahme von Flüchtlingen geht er mit dem guten Beispiel voran. Im interreligiösen Dialog ist er der grosse Schrittmacher in unserer Kirche. Im Innern der Kirche ist auf der vergangenen Amazonien-Synode aufeinander gehört und um neue Wege gerungen worden, wie wohl kaum mehr seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil.
Und was tut sich in Bezug auf Frauen?
Was die Mitsprache und Mitentscheidung der Frauen in der Kirche angeht, wünsche ich mir auch schnellere Veränderungen. Mit dem Zürcher Seelsorgerat habe ich mich für das Diakonat der Frau eingesetzt. Ich bin vor 47 Jahren in den kirchlichen Dienst getreten. Vergleiche ich die Stellung der Frau in der Kirche von damals mit jener von heute, dann hat sich einiges positiv verändert. Frauen haben als Pfarreibeauftragte Führungspositionen, Frauen leiten grosse Dienststellen wie die katholische Spital- und Klinikseelsorge im Kanton Zürich, sie haben verantwortungsvolle Aufgaben im Generalvikariat inne. Unter den jährlich neu in den Dienst tretenden Pastoralassistenten und –assistentinnen im Bistum Chur waren 2019 alles Frauen, keine Männer. In der Katechese sind die Frauen führend. Darüber dürfen wir uns auch mal freuen.
Weiter spricht die TV-Predigerin von einem «Klima der Angst» in unserer Kirche. Wer muss bei uns Angst haben?
Ich hoffe, dass niemand Angst haben muss, das wäre gegen das Evangelium. Ich weiss nicht, auf welche konkreten Fälle sich Veronika Jehle bezieht. Als Verantwortlicher für die Seelsorgenden im Kanton Zürich und Glarus stehe ich für eine offene Gesprächskultur ein. Wie jede andere Arbeitgeberin darf die Kirche von ihren Seelsorgern und Seelsorgerinnen aber loyales Verhalten erwarten.
Weiter wirft Jehle der Kirchenleitung vor, Seelsorgende dürften bei uns nicht zu ihren Überzeugungen stehen. Muss, wer seine Meinung pointiert äussert, um seine Stelle bangen?
Das freie Wort ist Grundbestandteil einer wirklich christlichen Gemeinschaft. Schon in der Bibel widerstand Paulus dem Petrus «ins Angesicht». Zu einer gesunden Streitkultur, die wir durchaus pflegen sollen, gehört aber auch eine Portion Selbstkritik den eigenen Positionen gegenüber – auf allen Seiten. Daran müssen wir noch arbeiten. Noch ist der Weg weit zu einer geschwisterlichen Kirche, in der Männer und Frauen zusammenarbeiten und im Hören auf Gottes Heiligen Geist Neues schaffen.
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