Küsnacht feiert 50 Jahre Sant`Egidio
«Alles kann sich ändern, wir müssen es nur tun.»
So überschreibt der Italiener Andrea Riccardi, Gründer dieser Gemeinschaft, seine persönliche Analyse der Entstehungsgeschichte dieser aussergewöhnlichen kirchlichen Bewegung. 1968 entlud sich der Ärger und die Enttäuschung der Nachkriegsjugend in weltweiten, zum Teil gewalttätigen Jugendprotesten und Erneuerungsbewegungen. Auch in Rom wehte dieser Geist des Widerstandes gegen verknöcherte Institutionen und überholte Denkweisen. Das Zweite Vatikanische Konzil widerspiegelte auch in der römisch-katholischen Kirche das damalige Verlangen der Menschen nach Öffnung und Mitsprache.
Treffpunkt Klosterkirche
In diesem Klima entstand im Februar 1968 die Gemeinschaft Sant’Egidio als neue geistliche Bewegung, benannt nach ihrem ersten Treffpunkt, einer kleinen verlassenen Klosterkirche im Stadtteil Trastevere. Seit 50 Jahren nun engagieren sich die Mitglieder dieser Gemeinschaft im Sinne des Evangeliums für die Menschen am Rande der Gesellschaft. Vor allem ihr Kampf gegen die Krankheit AIDS auf dem afrikanischen Kontinent, ihr Einsatz für Flüchtlinge und ihre Friedensinitiativen haben dieser Gemeinschaft weit über den kirchlichen Raum hinaus Anerkennung eingebracht.
Stimmungsvoller Gottesdienst in Küsnacht
Diese weltumspannende Verbundenheit von Gläubigen aus aller Herren Länder und Kulturen war auch Kennzeichen der kirchlichen Feier, sei es in der Mehrsprachlichkeit der Beiträge oder der berührenden musikalischen Gestaltung unter anderem durch die bekannte Zürcher Künstlerin Regula Curti und zwei Musikern aus Syrien. Generalvikar Annen (Bild unten) verglich in seiner Predigt die Werke von Sant’Egidio mit einem Stachel im Fleisch. Ein Stachel, der nicht zur Ruhe kommen lässt, bevor nicht alles getan ist, die Ärmsten ins Zentrum des eigenen Lebens zu stellen.
Nach dem von der Küsnachter Pfarrei offerierten reichhaltigen Buffet begrüssten Pfarradministrator Karl Wolf und Claudia Antonini von Sant'Egidio Schweiz über hundertfünfzig Gäste im Pfarreizentrum zur Podiumsdiskussion, darunter auch prominente Vertreter der Gemeinschaft selbst, Dr. Gianni Guidotti aus Rom und Anne-Catherine Reymond aus Lausanne. Unter der Überschrift «Glaubensgemeinschaften im säkularen Umfeld und im interreligiösen Dialog» diskutierten unter der Leitung von Antonia Moser, Radio SRF, Generalvikar Josef Annen, Professorin Eva Maria Faber von der Theologische Hochschule Chur, Professor Ulrich Rudolph, Islamwissenschafter an der Universität Zürich und Nationalrat und Präsident der CVP Schweiz, Gerhard Pfister.
Vorbildfunktion von Sant'Egidio
Die Anwesenden waren sich weitgehend einig, dass das unermüdliche Wirken von Sant'Egidio im Blick auf die Nöte und Problem der Welt einen starken Vorbildcharakter hat und nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Staaten, vor allem auch die Schweiz, zu einem humanitären Umgang gerade mit Flüchtlingen bewegen sollte. Generalvikar Annen appellierte an den CVP-Präsidenten, sich des christlichen Namens im Parteilogo neu bewusst zu werden und sich mutiger für Flüchtlingsrechte einzusetzen. Nationalrat Pfister setzte dieser Forderung entgegen, dass die Schweiz an rechtsstaatliches Handeln gebunden und das Durchsetzen einer anderen Flüchtlingspolitik letztendlich nur auf dem politischen Weg möglich sei. Dass gemeinschaftliches Zusammenwirken vieler nicht nur in der Flüchtlingsfrage einen hohen Mehrwert für die Gesellschaft hat, verdeutlichten vor allem die Beiträge der Gäste aus Lausanne und Rom, die dem Publikum nachwirkende Denkanstösse mit auf den Weg gaben. Guidotti zitierte vor aufmerksamen Publikum am Ende der Diskussionsveranstaltung das Wort eines Zeitgenossen Jesu:
«Wenn Menschen fehlen, bemühe Du Dich, Mensch zu sein!»
Text: Matthias Westermann, Diakon Küsnacht
Fotos: Christian Bechtiger, Küsnacht
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