Ehrendoktorat für Priorin Irene Gassmann «Es fehlen die neuen Schläuche»
«Unter der ausgetrockneten Strukturen der monastischen Lebensform reift ein neuer Wein», ist Priorin Irene Gassmann überzeugt. Das Zitat mit den neuen Schläuchen stammt von Silja Walter, der 2011 verstorbenen berühmten Dichternonne und Mitschwester der Priorin und ist bereits knapp 50 Jahre alt. Mit diesen Worten eröffnete Gassmann in ihren Vortrag.
Nach fünf Jahrzehnten würden die neuen Schläuche auch in den Ordensgemeinschaften immer noch fehlen, meinte Priorin Irene. In ihrer Rede legte sie ihren Fokus auf die Entwicklung der Ordensgemeinschaften, konkret auf die kontemplativen Frauengemeinschaften in der Deutschschweiz.
Das Schwinden der Klöster
Die Statistiken zeigten klar: In 30 Jahren ist die Zahl der kontemplativen Ordensfreuen auf einen Drittel geschmolzen. Das male ein düsteres Bild von der Zukunft der Klöster.
«Und dennoch brennt in mir die Hoffnung.»
Wenn dem nicht so wäre, so hätte sie sich längst eine andere Aufgabe gesucht. Sie zitierte ein Gebet von Silja Walter: «Wir bleiben, weil wir glauben. Zu glauben und zu bleiben sind wir da, draussen am Rande der Stadt.» Bleiben sei nicht zu verwechseln mit sitzenbleiben und abwarten.
«Bleiben heisst für mich weitergehen und sich den Herausforderungen zu stellen», meint die Priorin. Zu Hause sein, Ausschau halten nach Gott, sein Kommen und seine Gegenwart in unserer Welt und Zeit wachhalten und singen: Das sei der Kern des monastischen Lebens. «Dieser Dienst ist zeitlos, er ist immer aktuell», ist sie überzeugt. Er könne unabhängig von der Anzahl und vom Durchschnittsalter einer Gemeinschaft gelebt werden.
Klöster faszinieren
Die Anfragen für Auszeiten im Kloster sind gross, auch im Kloster Fahr. Klöster strahlten etwas Geheimnisvolles aus, sie seien kulturelle Juwelen. Sie hätten jedoch mehr zu bieten als barocke Architektur und mittelalterliche Musik. Klöster seien Lebens-Orte.
«Die Sehnsucht nach kontemplativem Leben in Gemeinschaft ist da. Es reift neuer Wein.»
Das erfahre sie immer wieder im Austausch mit den Menschen. Es gäbe auch Initiativen und Projekte wie beispielsweise das Stadtkloster in Zürich, die neue moderne Lebensmodelle für kontemplatives Leben verwirklichen. Hier könnten sich auch Zukunftsmodelle für neues, gemeinschaftliches Leben entwickeln, auch als Gegenmittel zur Vereinsamung im Alter.
Ruhe gleich Gott?
Die Menschen sehnten sich nach einem erfüllten Leben, nach innerem Frieden, nach Glück. Klöster seien Rückzugsorte, um in der Stille mit dem Eigentlichen wieder in Berührung zu kommen, gerade in Zeiten der Unsicherheit.
Menschen, die im Kloster als Gäste gewesen seien, würden nicht sagen: «Ich habe Gott gefunden.» Sie sagten: «Ich habe Ruhe, ich habe in die Stille gefunden.» Priorin Irene Gassmann vertritt die These: Ruhe sei, was früher einmal für viele das Wort «Gott» gewesen sei. «Gott ist lebendige Ruhe, die alles trägt und hält. In der Ruhe liegt die Kraft. Nicht ständig reden müssen, sondern schweigen dürfen.»
Mut für Visionen
«Frauen, die das Leben lieben»: Das sei die Vision der Benediktinnerinnen im Fahr. Das zeige sich im achtsamen Umgang miteinander und mit der Schöpfung. Auch die Gastfreundschaft habe einen hohen Stellenwert. Die Frage sei, wie lange man diese Angebote aufrecht halten könne.
Die Bäuerinnenschule im Fahr wurde trotz Wartelisten 2013 geschlossen. Die Erfahrung habe sie gelehrt, wie wichtig es sei, mutige Entscheidungen zu fällen, wenn die Zeit reif sei. Um so Raum für Neues zu schaffen. Die Ungewissheit, den leeren Raum auszuhalten, das sei «Gott-Vertrauen.»
Auch im Tagesablauf des Klosters gab es Veränderungen, die von allen mitgetragen würden. Dazu gehöre beispielsweise das «Gebet am Donnerstag» und die Anliegen für eine glaubwürdige, geschlechtergerechte Kirche. Für einzelne brauchte es anfänglich schon etwas Mut, die ungewohnt klaren Gebetstexte vorzutragen. Zum Beispiel:
«Gott, du unser Vater und unsere Mutter, wir alle wissen, wie es um unsere Kirche steht. Unrecht geschah und geschieht. Macht wurde und wird missbraucht. «Bei euch aber soll es nicht so sein», sagt Jesus. Wir bitten dich um dein Erbarmen.»
Zufrieden sein
Als betagte Ordensgemeinschaft hätten sie einen wichtigen Auftrag: «Wir gestalten die Zeit des Übergangs. Wir bereiten geistlich, spirituell Boden für das Kommende, für den neuen Wein und die neuen Schläuche.» Zufrieden sein mit dem, was man hat, sei eine benediktinische Grundhaltung.
Im Wortspiel mit dem Kloster Fahr gab die Geehrte zu bedenken: «Klosterleute sind Fährleute, und Klosterfrauen sind Fahrfrauen. Hören Sie in dieses Wort hinein: Fahrfrauen… Pfarrfrauen… Fährfrauen.» Den Vortrag endete Priorin Gassmann mit den Worten: «Der eigentliche Fährmann, die eigentliche Fährfrau ist die Heilige Geistkraft, Gottes liebendes Erbarmen, und niemand sonst. Vertrauen wir Ihm und Ihrer Führung!»
Den ganzen Vortrag können Sie hier nachlesen.
Artikel im Einsiedler Anzeiger vom 4. Dezember 2024.
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